Numerische Identität

Der Identitätsbegriff stammt ursprünglich aus der Logik, wo er diejenige Relation bezeichnet, in der jeder Gegenstand zu sich selbst und zu keinem anderen steht. In dieser Bedeutung spricht man von „numerischer Identität“, weil diese Relation der Operation des Zählens zugrunde liegt, bei der identische Gegenstände im Gegensatz zu Gegenständen, die beliebig ähnlich sein mögen, dabei aber numerisch verschieden sind, als ein Gegenstand gezählt werden. Die Relation der numerischen Identität erlaubt keine graduellen Abstufungen: Zwei Gegenstände sind entweder im numerischen Sinne identisch, wenn sie nämlich eigentlich ein und derselbe Gegenstand sind, oder sie sind es nicht. Wenn dagegen mit Bezug auf eine Person davon die Rede ist, sie habe sich in ihrer Identität mehr oder weniger tiefgreifend verändert, dann lässt bereits der graduelle Charakter dieser Veränderung darauf schließen, dass Behauptungen dieses Typs kein numerisches Verständnis personaler Identität zugrunde liegt. Als Aussagen über numerische Identität interpretiert, sind Formulierungen wie „P’s Identität hat sich verändert“ oder „P hat seine Identität verloren“ sogar widersprüchlich, weil sie offenbar die Fortexistenz der Person voraussetzen, deren Identität sich geändert hat bzw. die ihre Identität eingebüßt hat. Denn die Behauptung eines Wechsels numerischer Identität impliziert gerade, dass eine neue Person an Stelle der ursprünglichen tritt.

Das Konzept der numerischen Identität findet sich abseits seines Ursprungs in der Logik im Kontext der Ethik und angewandten Ethik etwa in den Bereichen von Enhancement, Altern, Erkrankungen wie Demenz, aber auch Organspende wieder (vgl. auch Modul Kontroverse um den Personbegriff und Modul Literaturüberblick Enhancement und Identität).

Für nähere Informationen zum Konzept der numerischen Identität siehe:

Kant, I. (1785): Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Riga: J. F. Hartknoch.

Locke, J. (1981): Versuch über den menschlichen Verstand [1690]. 2. Bde., übers. von C. Winckler, 4. durchges. und erw. Aufl. Hamburg: Meiner. 

Quante, M. (Hg.) (1999): Personale Identität. Stuttgart: UTB. 

Quante, M. (2007): Person. Berlin/New York: De Gruyter. 

Parfit, D. (1984): Reasons and Persons. New York: Oxford University Press.

Für weitere Informationen zu numerischer Identität im ethischen Kontext vgl. etwa:

Knell, S. (2022): Demenz: Ethische Aspekte. In: Sturma, D. / Lanzerath, D. (Hg.): Demenz. Naturwissenschaftliche, rechtliche und ethische Aspekte. Sachstandsberichte des DRZE 23. Baden-Baden: Nomos. Online Version

Gasser, G. (2022): Personale Identität, Verkörperung und Personentransfers: Eine identitätstheoretische Skizze. In: Willmann, T. / El Maleq, A. (Hg.): Sterben 2.0: (Trans-)Humanistische Perspektiven zwischen Cyberspace, Mind Uploading und Kyronik. Berlin/Boston: De Gruyter. Online Version

Sturma, D. (2021): Identität der Person. In: Fuchs, M. (Hg.): Handbuch Alter und Altern. Stuttgart: J. B. Metzler, 348–354.

Segawa, S. (2020): Der Begriff der Person in der biomedizinischen Ethik. Paderborn: Brill/Mentis

Dufner, A. (Hg.) (2018): Schwerpunkt: Philosophie der Demenz. In: Zeitschrift für Praktische Philosophie, 5 (1), 73–230. Online Version

Darin insbesondere: Dufner, A. (2018): Einleitung: Demenz und personale Identität. In: Zeitschrift für Praktische Philosophie, 5 (1), 73–80. Online Version

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