Transplantation von Nervenzellen ("Neural Grafting")
Im Rahmen der Stammzellforschung werden seit 2001 Experimente durchgeführt, in denen menschliche neuronale Stammzellen in die Gehirne nicht-menschlicher Primaten eingepflanzt werden. Mit Hilfe derartiger Experimente soll untersucht werden, ob Stammzellen abgestorbene oder in ihrer Funktion beeinträchtigte Gehirnzellen ersetzen können, so dass die Funktion ausgefallener Gehirnareale wiederhergestellt werden kann. Langfristig hofft die Forschung, mit Hilfe der Stammzelltechnologie neue Therapien für neurodegenerative Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu entwickeln.
Nach Meinung vieler in der Wissenschaft tätigen Personen entsteht mit diesem Forschungszweig zugleich ein besonderes ethisches Problem: Falls die verwendeten Primaten durch die Injektion oder Transplantation menschlicher Nervenzellen menschenähnliche kognitive und emotionale Fähigkeiten erlangten, wäre ihre Verwendung in schädigenden oder schmerzhaften Experimenten ethisch nicht (mehr) vertretbar.
Die Wahrscheinlichkeit eines derartigen "Geistesschubes" wird von vielen Forschenden als gering eingestuft, kann jedoch auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Da derzeit das Wissen um das "normale" psychische Erleben von Primaten noch gering ist, fehlen darüber hinaus Kriterien, anhand derer eine solche Veränderung überhaupt mit Sicherheit festgestellt werden könnte.
Ein 2004 gegründetes, multidisziplinär besetztes Gremium von Forschenden entwickelte angesichts des drohenden ethischen Problems einen Katalog von Vorsichtsmaßnahmen, der die Gefahr einer "Vermenschlichung" der Versuchstiere verringern soll. Demnach sind vor einem derartigen Eingriff besonders zu beachten:
(I) der Anteil der übertragenen menschlichen Zellen (dieser sollte im Verhältnis zum Gehirnvolumen nicht zu groß sein),
(II) der Entwicklungsstand des Versuchstiers (der Eingriff sollte nicht in einem zu frühen Entwicklungsstadium vorgenommen werden),
(III) die Affenspezies (die Gefahr der Vermenschlichung könnte bei Menschenaffen größer sein als bei anderen Affenarten),
(IV) die Gehirngröße (diese hat wiederum Einfluss auf den Anteil menschlicher Zellen),
(V) der Insertionsort (die fremden Zellen sollten nicht in die Areale, die für die kognitiven und emotiven Leistungen verantwortlich sind, injiziert oder transplantiert werden) und
(VI) die Gehirnpathologie (falls die zugefügten menschlichen Zellen die Funktion stark beeinträchtigter Gehirnareale ersetzen sollen, scheint eine Vermenschlichung wahrscheinlicher).
Das Gremium empfiehlt, Forschungsvorhaben, die die Injektion oder Transplantation von menschlichen Zellen in die Gehirne nicht-menschlicher Primaten beinhalten, einem gesonderten Begutachtungsverfahren zu unterziehen.
Greene, Mark / Schill, Kathryn / Takahashi, Shoji / Bateman-House, Alison / Beauchamp, Tom / Bok, Hilary / Cheney, Dorothy / Coyle, Joseph / Deacon, Terrence / Dennett, Daniel / Donovan, Peter / Flanagan, Owen / Goldman, Steven / Greely, Henry / Martin, Lee / Miller, Earl / Mueller, Dawn / Siegel, Andrew / Solter, Davor / Gearhart, John / McKhann, Guy / Faden, Ruth (2005): Moral Issues of Human-Non-Human Primate Neural Grafting. In: Science 309, 385-387.