Mensch als Mängelwesen

In der Philosophiegeschichte taucht der Gedanke, dass der Mensch gegenüber den Tieren weniger durch seine Stärken als vielmehr durch seine Schwächen, nämlich durch einen merkwürdigen Mangel an natürlichen Gaben auffällt, wiederholt auf. In das Zentrum einer anthropologischen Konzeption stellt die Bestimmung des Menschen als eines Mängelwesens jedoch erst der Philosoph Arnold Gehlen (1904–1976). Nach Gehlen kompensiert der Mensch seine fehlenden Instinkte und die mangelnde Spezialisierung seiner organischen Ausstattung mit einer einzigartigen „Weltoffenheit“. Der Mensch mache aus der Not seiner wenig spezifischen sensorischen und motorischen Fähigkeiten eine Tugend, indem er sie dazu nutzt, die Umgebung handelnd seinen Bedürfnissen anzupassen, anstatt sich selbst an die Umgebung anzupassen. Der Mensch sei von Natur aus ein Kulturwesen, weil seine defizitäre natürliche Ausstattung ihn auf die handelnde Kultivierung seiner Umgebung festlege.

Gehlen, A. (1940): Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt. Berlin: Junker und Dünnhaupt (16. Auflage, 2014, Wiebelsheim: AULA-Verlag).

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