Exemplarische Auseinandersetzungen innerhalb der Ärzt*innenschaft zum Thema Sterbehilfe
Das Thema Sterbehilfe wird innerhalb der Ärzt*innenschaft kontrovers behandelt. Hier wird die (Muster-)Berufsordnung der Bundesärztekammer sowie eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, als exemplarische Auseinandersetzungen und Positionen verschiedener Akteur*innen der Ärzt*innenschaft, vorgestellt. Diese stehen auch in Verbindung mit der Position, die einen Ausbau der Suizidprävention in diesem Kontext als notwendig ansieht.
(Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte
Die „(Muster-)Berufsordnung“ wurde 1997 auf dem 100. Ärztetag beschlossen und seitdem mehrfach an aktuelle ethische und rechtliche Verschiebungen angepasst. Bei der zuletzt gültigen Fassung handelt es sich um die des Beschlusses des 124. Deutschen Ärztetages vom 5. Mai 2021. Die (Muster-)Berufsordnung bildet die berufsrechtlichen und ethischen Grundlagen des ärztlichen Berufs ab und dient den jeweiligen Ärztekammern als Muster für deren Berufsordnungen. Diese enthalten Bestimmungen u.a. zu Pflichten im Rahmen der Berufsausübung sowie der Aufklärung und der Wahrung der ärztlichen Unabhängigkeit. Die (Muster-)Berufsordnung trägt damit zu einer bundesweit möglichst einheitlichen Entwicklung des Berufsrechts bei, wobei es sich bei der Berufsordnung um Satzungsrecht handelt, das auf Grundlage des Heilberufe-Kammergesetzes des jeweiligen Bundeslandes von der Ärztekammer erlassen wird.
Die (Muster-)Berufsordnung „stellt die Überzeugung der Ärzteschaft zum Verhalten von Ärztinnen und Ärzten gegenüber den Patientinnen und Patienten, den Kolleginnen und Kollegen, den anderen Partnerinnen und Partnern im Gesundheitswesen sowie zum Verhalten in der Öffentlichkeit da.“ In §1 (2) heißt es zu den Aufgaben des ärztlichen Fachpersonals „Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte ist es, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken.“ Weiter heißt es in § 7 zu den Behandlungsgrundsätzen und Verhaltensregeln „Jede medizinische Behandlung hat unter Wahrung der Menschenwürde und unter Achtung der Persönlichkeit, des Willens und der Rechte der Patientinnen und Patienten, insbesondere des Selbstbestimmungsrechts, zu erfolgen. Das Recht der Patientinnen und Patienten, empfohlene Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen abzulehnen, ist zu respektieren.“ Das Selbstbestimmungsrecht wird hier also in Bezug auf Ablehnung bestimmter Maßnahmen ausgelegt, nicht aber in Bezug auf die Einforderung bestimmter Maßnahmen.
§ 16 richtet sich an den „Beistand für Sterbende“ und erfuhr 2011 eine verschärfte Formulierung. Wo es zuvor noch „Ärztinnen und Ärzte dürfen das Leben der oder des Sterbenden nicht aktiv verkürzen“ gelautet hatte, hieß es in der Fassung von 2011 „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ In Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Februar 2020 wurde § 16 in Folge des 124. Deutsches Ärztetages erneut geändert und Satz 3, „Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“, aufgehoben, so dass § 16 aktuell lautet: „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten.“
Die Formulierung von Satz 3 war Streitgegenstand von rechtlichen und medizinischen Fachpersonen und wurde im April 2012 vom Berliner Verwaltungsgericht für verfassungswidrig erklärt, da sie Ärzt*innen nicht den nötigen Ermessensspielraum lasse. „Es entspreche ganz überwiegender Auffassung, dass § 16 Satz 3 der (Muster-)Berufsordnung in seiner bisherigen Fassung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht aufrechterhalten werden könne“, begründete das Ärzteparlament seine Entscheidung. Es ist allerdings an den Ärztekammern der Bundesländer, diese Formulierung in ihren Berufsordnungen aufzunehmen und damit zu geltendem Recht zu machen.
Bundesärztekammer (2021): (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte. Bekanntmachungen. MBO-Ä 1997, in der Fassung des Beschlusses des 124. Deutschen Ärztetages vom 5. Mai 2021 in Berlin. Online Version
Bundesärztekammer (2021): Pressemitteilung vom 05.05.2021: Striktes Verbot der Suizidhilfe aus (Muster-)Berufsordnung gestrichen / Ärzteparlament sieht Hilfe zur Selbsttötung weiterhin nicht als ärztliche Aufgabe. Online Version
Abweichungen von § 16 in den Berufsordnungen der Landesärztekammern
Die Mehrheit der 17 Landesärztekammern hat § 16 so wie in der (Muster-)Berufsordnung in seiner überarbeiteten Fassung von 2021 formuliert, in ihre jeweiligen Berufsordnungen übernommen. Fünf der Landesärztekammern haben allerdings Satz 2 „Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten“ nicht übernommen, und hier lediglich Satz 1 „Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen“ aufgeführt. Einzig die Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte des Saarlandes hat Satz 2 noch erweitert durch den Zusatz „Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. § 1 Abs. 2 bleibt unberührt“.
Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin zu den Gesetzesentwürfen zum Themenkomplex der Suizidassistenz und der Suizidprävention bezogen auf Menschen in palliativen Erkrankungssituationen
Im November 2022 veröffentlichte der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) eine Stellungnahme, die sich kritisch mit den vorgelegten Gesetzentwürfen auseinandersetzte und diese in ihrer Konklusion vor allem aufgrund des unterkomplexen Verständnisses der individuellen Behandlungsabläufe ablehnte. Generell wird in Frage gestellt, ob eine gesetzliche Regelung der Suizidassistenz überhaupt zielführend sein könne oder ob andere flankierende Maßnahmen das im BVerfG-Urteil vom 26.02.2020 bestätigte Grundrecht auf Inanspruchnahme einer Hilfe beim Suizid angemessener abbilden können, auch weil die aktuelle Gesetzeslage die Ausübung dieses Grundrechts erlaubt.
Die DGP kritisierte an den vorliegenden Entwürfen zum einen die inadäquate Darstellung der Beziehungsebene zwischen der*dem Assistenzausführenden und der*dem Suizidwilligen als Voraussetzung für eine Suizidhilfe. Die in den Entwürfen zu findende juristische Argumentation spiegele nicht die Realität der medizinischen Perspektive, insbesondere der Palliativversorgung, wieder: „Durch die Reduktion auf eine „Juristisierung“ (analog des Begriffs „Medikalisierung“) des Lebensendes entsteht dabei die Gefahr, dass die Suizidhilfe zum formalen Verwaltungsakt einer anzubahnenden Dienstleistung degradiert wird und die besonderen Umstände der Situation einer/eines sterbewilligen Schwerkranken unzureichend gewürdigt werden.“ Die Normierung und Standardisierung des assistierten Suizids stehe entgegen der Komplexität und Individualität der Beziehungsebene und des dialogischen Ringens um eine „beste Möglichkeit“ bzw. laufe Gefahr, diese zu vereinfachen und abzukürzen.
Zum anderen wird die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Feststellung eines „autonom gebildeten freien Willens“, einer „inneren Festigkeit“ sowie einer „gewissen Dauerhaftigkeit“ kritisiert, als dass es sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe handele, die in hohem Maße einer subjektiven Betrachtung und Einschätzung unterliegen.
Die Stellungnahme der DGP schließt, dass die aktuelle Rechtslage ein Maximum an Freiheit und Selbstbestimmung für Betroffene sowie professionell Tätige bedeutet, die für Ärzt*innen ein hohes Maß an Verantwortung und Rollenkonflikte zur Folge haben. Dies könne allerdings eine zu akzeptierende und ggf. notwendige Zumutung darstellen, da es sich bei der Hilfe zum Suizid auch um eine persönliche Einlassung handele. Nach dem Verständnis der DGP „kann der Impuls, das eigene Leben zu beenden, nur vom Betroffenen selbst, nicht aber vom Arzt oder von der Ärztin ausgehen, es gibt keine medizinische Indikation, den Tod herbeizuführen.“ Dementsprechend könne die Hilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sein mit einem hinterlegten Prozedurenkatalog, da die objektivierbare Therapiezieldefinition und Indikationsstellung fehlten.
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (2023): Stellungnahme des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) zu den Gesetzesentwürfen zum Themenkomplex der Suizidassistenz und der Suizidprävention bezogen auf Menschen in palliativen Erkrankungssituationen (Stand 23.11.2023). Online Version