Biodiversität
Stand: April 2024
Ansprechpartner*in: Fabian Fischbach
Biologische Vielfalt, oder kürzer: Biodiversität, wird in der maßgeblichen Konvention über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) definiert als „[...] die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft […] und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehören; dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme [darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme].” Biodiversität umfasst aus biologischer Perspektive demnach nicht nur reine Artenvielfalt, sondern auch die Sortenvielfalt (z. B. von Nutzpflanzen), sogenannte genetische Ressourcen, sowie die Vielfalt von ökologischen Prozessen.
Das Konzept der Biodiversität erfasst die Variabilität des Lebendigen auf drei Ebenen der Vielfalt:
- die Artenvielfalt (Pflanzen, Tiere, Mikroben, Pilze),
- die Vielfalt genetischer Informationen, die in Lebewesen enthalten sind,
- die Vielfalt von Ökosystemen oder Lebensräumen.
Die Biodiversität ist als Vielfalt des Lebendigen von der mit ihr in Wechselwirkung stehenden Geodiversität abzugrenzen.
Erfassung der Biodiversität
Häufig wird Biodiversität mit der Anzahl verschiedener Arten gleichgesetzt. Zur Untersuchung der Biodiversität über die reine Quantität hinaus, werden qualitative Aspekte der biologischen Vielfalt in einem Gebiet zu folgenden Parametern mit einbezogen: Artendichte, Häufigkeitsverteilung von Arten, Seltenheit, verwandtschaftliche Vielfalt, funktionelle Diversität und damit einhergehende Ökosystemleistungen, bedrohte Arten, nicht einheimische Arten, Nutzwert für den Menschen.
Diese Parameter dienen der Erfassung von Biodiversität und zudem als Anhaltspunkte, um das meist notwendige Priorisieren von schützenswerten Bereichen der Biodiversität, z. B. bei der Wahl schützenswerter Gebiete, durchzuführen.
Angesichts der hohen Variabilität des Lebendigen kann Biodiversität als Ganzes nicht abschließend erfasst werden. Vielmehr eröffnen die Daten zu den obigen Parametern einen Einblick in die jeweiligen Bereiche der Biodiversität. Beispielsweise reichen die Angaben bezüglich der Artenzahlen von 5 bis 30 Millionen Arten von Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen. Das Millennium Ecosystem Assessment rechnet auf der Basis heute beschriebener Arten den Artenbestand der Erde auf 13,6 Millionen hoch. Insgesamt ist die Beurteilung von Biodiversität jedoch mit einer großen Unwissenheit verbunden.
Verteilung der Biodiversität
Als Hotspots der Biodiversität werden Gebiete bezeichnet, die eine besonders hohe Arten- und Ökosystemdichte aufweisen, welche zugleich besonders stark gefährdet sind. Allgemein nimmt die Artendichte von den Polen zum Äquator hin zu, die größte Vielfalt findet sich in den Subtropen und Tropen, wobei tropische Regenwälder die reichhaltigsten Ökosysteme der Erde sind. Auch der Boden der Tiefsee, der weitgehend unerforscht ist, beherbergt eine unüberschaubare Menge von Tierarten und Mikroorganismen. Tropische Korallenriffe stellen die artenreichsten marinen Ökosysteme dar.
Die folgende Karte (Abbildung 1) zeigt die Verteilung von Gefäßpflanzenarten auf der Erde. Aufgrund verschiedener Korrelationen entspricht diese Verteilung wahrscheinlich auch der Verteilung von Tierarten. Eine vergleichbare Karte für die Fauna ist allerdings noch nicht erstellt worden. Bemerkenswert hierbei ist, dass sich nahezu alle Biodiversitäts-Hotspots im Globalen Süden verorten lassen.
Ökosystemleistungen und -funktionen
Ökosystemleistungen sind Leistungen der Natur bzw. von Ökosystemen, die der Mensch für sich nutzbar machen kann. Dazu zählen beispielsweise die Bereitstellung von Süßwasser durch Niederschlag und Bodenfiltration, die Bindung von Kohlendioxid in pflanzlicher Biomasse, die Bestäubung von Pflanzen durch Insektenvölker oder die Klimaregulierung. Aber auch die Primärproduktion von bspw. Pflanzen, die für den Menschen von Nutzen sind, kann darunter verstanden werden. Nach dem Millennium Ecosystem Assessment lassen sich Ökosystemleistungen in unterstützende, bereitstellende, regulierende und kulturelle Leistungen unterteilen.
Als ein Teil des Biodiversitätsverlusts hat die Dezimierung von Ökosystemen durch den Menschen teilweise beträchtliche Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit eines Ökosystems, was sich wiederum auf den Menschen auswirken kann. So konnte etwa mit Satellitenbildern gezeigt werden, dass Küstenabschnitte in den Tropen, an denen noch Mangrovenwälder vorkommen, weitaus weniger von der Tsunami-Katastrophe im Jahr 2004 in Südost-Asien betroffen waren als Abschnitte, an denen die Wälder zerstört waren.
Biodiversitätsverlust
Aufgrund der schwierigen Bestimmung von Artenzahlen, aber auch wegen der problematischen Quantifizierbarkeit von Vielfalt (beispielsweise von Ökosystemen), ist die Erfassung des Biodiversitätsverlusts sehr schwierig. Dennoch zeigt sich die weltweite Bedrohung der Biodiversität an der Zerstörung von Ökosystemen (etwa Regenwäldern oder Korallenriffen) oder der Bedrohung von Arten (etwa dem Pandabären oder dem Przewalskipferd). Als zentrale Ursachen für den Rückgang der Biodiversität gelten
1. die Veränderung von Lebensräumen bzw. Habitaten;
2. der Klimawandel;
3. eingeschleppte und gebietsfremde Arten;
4. die Übernutzung (z. B. durch Überfischung) und
5. die Umweltverschmutzung, z. B. durch Überdüngung.
Große Bedeutung kommt in dieser Hinsicht der Gestaltung der Landwirtschaft zu: Beispielsweise sind nach Ergebnissen des globalen PREDICTS-Projekts zur Landnutzung 13,6 % des Artenrückgangs in regionalen Ökosystemen auf Abläufe in der Landwirtschaft zurückzuführen. Ergänzend zur Erfassung des gegenwärtigen Biodiversitätsverlusts werden auf der Grundlage der hierfür konstatierten Ursachen Prognosen für den künftig zu erwartenden Rückgang der Biodiversität aufgestellt.
Als Reaktion auf den zunehmenden Biodiversitätsverlust wurde 1992 in Rio de Janeiro auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und nachhaltige Entwicklung (UNCED) das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) beschlossen. Im Jahr 2015 waren 196 Länder, darunter Deutschland, Vertragsparteien dieses internationalen Naturschutzabkommens.
Das Konzept der Biodiversität beinhaltet immer deskriptive Aspekte, in denen auf die mess- und beschreibbare Vielfalt z. B. der Arten eingegangen wird. Zugleich wird mit dem Begriff "Biodiversität" aber auch stets die schützenswerte Vielfalt der Natur bezeichnet, womit eine stark normative Konnotation einhergeht. Der Schutz der Biodiversität wird häufig als wertvolles Handlungsziel vorausgesetzt, kann aber unter philosophisch-ethischen Aspekten hinterfragt werden. Zur Diskussion steht dann, wie menschliches Verhalten zur nicht-menschlichen Natur begründet und welcher Wert der Natur beigemessen werden kann. Die moralische Debatte im Feld der Biodiversität bezieht sich damit unter anderem auf den Gegenstand des Schutzanspruchs. Worin genau liegt der Wert von Biodiversität? Ist er nur instrumentell und damit im Nutzen für den Menschen zu verorten oder kommt der Natur oder einzelnen Bereichen ein intrinsischer Wert, ein Eigenwert zu? Neben einer grundlegenden Debatte um den Wert der Biodiversität, ist deren Schutz auch mit zahlreichen weiteren ethischen Herausforderungen verbunden, die sich nicht allein aus verschiedenen Schwerpunktsetzungen der unterschiedlichen Ansätze ergeben, sondern auch mit praktischen Problemen und Konflikten zwischen unterschiedlichen Personengruppen zusammenhängen.
Natur- und umweltethische Argumentationen verlaufen häufig von verschiedenen Grundströmungen ausgehend, die sich in anthropozentrische, pathozentrische, biozentrische oder holistische Positionen einteilen lassen. Diese vier umweltethischen Ansätze unterscheiden sich hinsichtlich des Umfangs der Objekte, denen ein Eigenwert beigemessen wird und denen gegenüber somit direkte Schutzpflichten bestehen. Allen Ansätzen ist gemein, dass sie anthroporelational sind. Das bedeutet, dass sich der Wert, welcher der Natur zugesprochen wird, in Schutzansprüchen zeigt, die immer auf den Menschen bezogen sind: Nur der Mensch kann Adressat von Schutzpflichten sein, nur er ist fähig, diesbezüglich Handlungsregeln aufzustellen und Verantwortung zu übernehmen. Dies lässt sich jedoch nur hinsichtlich der abgeleiteten moralischen Pflichten verallgemeinern. Einige umweltethische Ansätze gehen davon aus, dass verschiedene Entitäten in der Natur vollständig unabhängig von menschlichen Werturteilen als wertvoll erachtet werden können, während andere diese Sichtweise ablehnen.
Der Wert der Biodiversität für den Menschen
Anthropozentrische (nur den Menschen betreffende) umweltethische Theorien begründen den Wert der Biodiversität in ihrem Nutzen für Menschen, die, einer anthropozentrischen Sichtweise folgend, als einzige intrinsisch wertvolle Entität erachtet werden können. Der Wert von allem anderen wird dabei aus dieser zentralen Wertsetzung abgeleitet und gilt nur mittelbar in Bezug auf dessen Nützlichkeit für Menschen. Entsprechend lässt sich eine direkte Schutzpflicht auch nur gegenüber Menschen, nicht aber gegenüber anderen Lebewesen formulieren. Obwohl hieraus folgt, dass, wird der Gedanke radikalisiert, Biodiversität, lässt sich auch aus einer anthropozentrischen Sichtweise heraus eine umfassende Forderung für den Schutz von Biodiversität ableiten. Ausschlaggebend ist hierbei die zentrale Wichtigkeit intakter und artenreicher Ökosysteme für das menschliche Wohlergehen sowie wirtschaftliche und wissenschaftliche Bestrebungen. Hierüber wird die Wahrung der Biodiversität zu einer Frage von globaler und intergenerationaler Gerechtigkeit.
Die Idee, dass Biodiversität zum menschlichen Nutzen erhalten werden soll, ist bis heute der einschlägigste, rechtliche Rechtfertigungsansatz und findet sich in zahlreichen Internationalen Abkommen, wie etwa dem Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD). In diesem wurde die Biodiversität zu einem "common concern of mankind" erklärt. Es vereint gemäß Art. 1 CBD erstmals das Ziel der Erhaltung der biologischen Vielfalt mit dem der nachhaltigen Nutzung ihrer Bestandteile sowie dem der gerechten Aufteilung der sich aus der Nutzung ergebenden Vorteile.
Intergenerationale Gerechtigkeit und der Nutzwert der Natur
Biologische Vielfalt eröffnet der Menschheit ausgewählte Nutzungsformen, indem sie wesentliche Ressourcen für eine nachhaltige Sicherung der Ernährung und Gesundheit, für die Entwicklung neuer Medikamente und für die Entdeckung und Entwicklung industrieller Rohstoffe bereithält. Weiterhin ist die Biodiversität eine entscheidende Inspirationsquelle in der Wissenschaftsdisziplin der Bionik und eine Voraussetzung für die Methode der Bioindikation. Zudem kommt den sogenannten Ökosystemleistungen eine große unmittelbare oder mittelbare Bedeutung für das menschliche Fortbestehen, aber auch für landwirtschaftliche und industrielle Produktionsprozesse zu. Biodiversität hat für viele Menschen darüber hinaus auch einen Erholungs- und ästhetischen und Wert, etwa wenn Natur als Ausflugs- und Urlaubsraum genutzt wird, und trägt zugleich zur psychischen Gesundheit der Menschen bei. Die Maßgabe, Biodiversität möglichst umfassend zu erhalten, begründet das Bestreben, die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse langfristig abzusichern, etwa über das Stärken der Resilienz und Funktionsfähigkeit von Ökosystemen.
Ethische Positionen, die die Idee intergenerationeller Gerechtigkeit befürworten, argumentieren, dass die in der Gegenwart lebenden Personen moralische Verpflichtungen gegenüber kommenden Generationen haben, etwa derzeit noch sehr jungen oder nicht geborenen Menschen, die sich unter anderem im Erhalt einer intakten Natur als menschliche Lebensgrundlage ausdrücken. Umstritten ist zwar, welches Gewicht den Interessen zukünftig lebender Menschen beigemessen werden soll – grundsätzlich gilt jedoch, dass es moralisch kaum rechtfertigbar ist, den Nutzen der gegenwärtig Lebenden in einem solchen Maße auf Kosten der Umwelt zu maximieren, dass zu einem späteren Zeitpunkt grundlegende menschliche Bedürfnisse nicht länger befriedigt werden können, beispielsweise wenn es aufgrund von Umweltschäden zu Hungernöten und Wasserknappheit kommt.
Kritische Stimmen halten solchen Ansätzen entgegen, dass sie die Interessen der gegenwärtig lebenden Menschen einer ungewissen und hypothetischen Zukunft opfern würden. Ein philosophisch herausforderndes Problem besteht in Derek Parfits Einwand der Nicht-Identität: Wenn Maßnahmen ergriffen werden, um die Interessen zukünftig lebender Menschen zu schützen, werden die Kausalitäten auf der Welt mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem solchen Maße verändert, dass jene, die unter dem Nicht-Ergreifen von Maßnahmen leiden würden, gar nicht erst geboren werden würden. Im Laufe der Zeit entsteht also eine völlig anders zusammengesetzte Erdpopulation, jedoch ohne diejenigen, die es ursprünglich zu schützen galt.
Der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage für zukünftige Generationen findet sich auch im Deutschen Grundgesetz: Dort heißt es in Artikel 20a: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
Pathozentrismus
Der Pathozentrismus (griech. pathos: Leid), auch als Sentientismus (lat. sentire: empfinden, fühlen) bezeichnet, knüpft die intrinsische Werthaftigkeit eines Lebewesens an dessen Empfindungsvermögen, konkreter an dessen Schmerz- oder Leidensfähigkeit. Gemäß dieser Position haben alle (schmerz-)empfindungsfähigen Wesen moralisch relevante Interessen und verfügen damit über einen Eigenwert, was bedeutet, dass sie um ihrer selbst willen schützenswert sind. Der Begriff des Interesses ist hier von zentraler Bedeutung – empfindungsfähige bzw. leidensfähige Lebewesen haben ein Interesse an ihnen zuträglichen Dingen bzw. an Leidvermeidung, das sich nicht in moralisch relevanter Hinsicht von menschlichen Interessen dieser Art unterscheidet und damit gleichermaßen in die moralischen Entscheidungsfindungen einbezogen werden muss.
Hieraus lässt sich ein umfassender Schutzanspruch für die Biodiversität ableiten, der nicht ausschließlich auf menschliche Interessen verweist, sondern den Wert der Biodiversität in einem breiteren Sinne instrumentell in ihrem Nutzen für leidensfähige Arten gründet. In einem pathozentristisch ausgerichteten Denken sind Eingriffe in die Natur und der Schwund von Arten dann relevant, wenn sie das Empfinden von nichtmenschlichen Tieren und deren damit in Verbindung stehenden Interessen beeinflussen. Das Aussterben einer Art hat in den meisten Folgen negative Implikationen für Individuen anderer Arten, etwa indem bevorzugte Nahrungsquellen nicht mehr vorhanden sind oder andere wichtige Bestandteile des Lebens eines Lebewesens verloren gehen. Auch die Verkleinerung von Lebensräumen kann relevante Formen von Schaden verursachen, etwa wenn es zu verschärften Revierkämpfen kommt oder bestimmte Populationen durch die Abgeschnittenheit von anderen Artgenossen genetisch verarmen und in der Folge häufiger an Krankheiten leiden.
Biozentrismus
Im Biozentrismus (griech. bios: Leben) wird grundsätzlich allen Lebewesen ein intrinsischer Wert zugeschrieben, der sich, ähnlich wie beim Pathozentrismus, darin gründet, dass alle Lebewesen eine moralische relevante Form von Interesse haben, die manchmal auch als teleologische Strebungen oder Wille zum Leben bezeichnet werden. Die Situation lebendiger Individuen kann demnach immer auf speziesspezifische Lebensweisen bezogen werden, aus denen sich ableiten lässt, was gut und was schlecht für das jeweilige Lebewesen ist, auch wenn sich die meisten der hier zu nennenden Interessen stark von menschlichen unterscheiden mögen. Pflanzen beispielsweise können dieser Sichtweise zufolge zwar keine Interessen haben, es gibt jedoch nennenswerte Dinge, die im Interesse einer Pflanze sind und durch wissenschaftliche Beobachtung erkannt und in objektiven Listen erfasst werden können. Biozentrischen Ansätzen folgend sind also die Interessen aller Lebewesen moralisch zu berücksichtigen; es ist jedoch umstritten, inwiefern dabei Abstufungen bei konfligierenden Interessen zulässig sind.
Eine moralische Pflicht zum Schutz der Biodiversität ergibt sich im Biozentrismus in einem umfassenden Sinne, der sich vor allem in der wechselseitigen Abhängigkeit unterschiedlicher Arten voneinander begründen lässt. Das Aussterben einzelner Arten kann immer dann als problematisch erachtet werden, wenn damit das Wohlergehen anderer Lebewesen beeinträchtigt wird.
Holismus
Abweichend von den anderen präsentierten Sichtweisen gründet der Holismus seinen Schutzanspruch nicht im Wohlergehen von Individuen und potentiellen Schäden, die diese durch den Verlust anderer Arten erleiden könnten. Stattdessen wird verschiedenen höherstufigen Entitäten, wie etwa Spezies oder Ökosystemen, ebenfalls ein intrinsischer Wert zugeschrieben, der häufig in ihrem Systemcharakter oder eigenen speziesspezifischen Interessen, die von individuellen Interessen abweichen, begründet wird. Biodiversität kann in dieser Sichtweise also als etwas an sich wertvolles und schützenswertes begriffen werden.
Konflikte zwischen unterschiedlichen Theorien
Individualistische Ansätze mit starken tierethischen Implikationen, wie etwa der Pathozentrismus, können in der Praxis leicht mit holistischen Ansätzen, die den Schutz systemischer Aspekte an oberste Stelle setzen, in Konflikt geraten. So kann es zum Schutz eines intakten Ökosystems zum Beispiel erforderlich sein, eingeschleppte und invasive Arten durch starkes und systematisches Bejagen radikal zurückzudrängen. Während solche Maßnahmen aus einer holistischen Perspektive als begrüßenswert gelten können, da die Integrität des Gesamtsystems hierdurch gewahrt und das Aussterben zusätzlicher Arten verhindert werden kann, lassen sich die Abschüsse aus einer individual- und tierethischen Perspektive kaum rechtfertigen. Konflikte dieser Art können nicht ohne weiteres gelöst werden und erfordern stattdessen eine systemische Veränderung anthropogener Einflüsse auf die Natur beziehungsweise geben Anlass dazu, grundsätzlich zu überdenken, welche Form der Biodiversität in einer stark menschlich beeinflussten Welt als schützenswert gelten kann.