Patientenverfügungen bei Demenzerkrankungen

Im Falle einer Demenzerkrankung kann es zu einem Konflikt zwischen der in der Vergangenheit verfassten Patientenverfügung, in welcher der autonome Wille einer Person zum Ausdruck kommt, und dem sogenannten „natürlichen Willen” der mittlerweile an Demenz erkrankten Person kommen. Entscheidend in diesem Konflikt ist, dass eine an Demenz erkrankte Person lediglich ihren aktuellen Willen bekunden kann, ohne die Fähigkeit zur autonomen Willensbildung zu besitzen. In der Praxis zeigt sich, dass dem „natürlichen Willen“ häufig ein hoher Stellenwert zugeschrieben wird, da das Wohlergehen der Patientin bzw. des Patienten im Mittelpunkt steht, während aus rechtlicher Sicht der autonomen Willensäußerung ein höherer Weisungswert zugeschrieben wird. Ob der früheren autonomen Willensäußerung oder dem natürlichen aktuellen Willen mehr Gewicht beigemessen werden soll, wird in der Ethik kontrovers diskutiert. 

Zum Begriff des natürlichen Willens: 

Jox, R. (2006). Der „natürliche Wille” als Entscheidungskriterium: rechtliche, handlungstheoretische und ethische Aspekte. In J. Schildmann, U. Fahr & J. Vollmann (Hrsg.), Entscheidungen am Lebensende: Ethik, Recht, Ökonomie und Klinik (S.69–86). LIT. 

Vgl. für eine überblickende Darstellung der zentralen Argumente z. B.:

Schmidhuber, M. (2013). Überlegungen zu den Grenzen der Patientenverfügung für die Selbstbestimmung von Demenzbetroffenen im Anschluss die Dworkin-Dresser-Debatte. In J. S. Ach (Hrsg.), Grenzen der Selbstbestimmung in der Medizin (S. 317–334, insb. Abschnitt 5). Mentis. https://doi.org/10.30965/9783897859692_020

Knell, S. (2022). Demenz: Ethische Aspekte. In D. Sturma & D. Lanzerath (Hrsg.), Demenz. Naturwissenschaftliche, rechtliche und ethische Aspekte (S. 123–143). Verlag Karl Alber. https://doi.org/10.5771/9783495999370

Vgl. zur Dworkin-Dresser-Debatte:

Dworkin, R. (1986). Autonomy and the Demented Self. The Milbank Quarterly, 64(2), 4–16. https://doi.org/10.2307/3349959

Dworkin, R. (1993). Life’s Dominion. An Argument about Abortion, Euthanasia, and Individual Freedom (insb. S. 218–241). Randomhouse.

Dresser, R. (2006). Dworkin on Dementia. Elegant Theory, Questionable Policy. In S. Green & S. Bloch (Hrsg.), An Anthology of Psychiatric Ethics (S.297–301). Oxford University Press. https://doi.org/10.1093/oso/9780198564874.001.0001

Volhard, T. (2015). Demenz. D. Sturma & B. Heinrichs (Hrsg.), Handbuch Bioethik (S. 231–239, insb. 268f.). Metzler. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05323-7

Vgl. zur Stellungnahme des Deutschen Ethikrats und der darin enthaltenden Empfehlung lebensbejahende Äußerungen vorrangig zu gewichten:

Deutscher Ethikrat. (2012). Demenz und Selbstbestimmung. Stellungnahme (insb. S. 100). https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-demenz-und-selbstbestimmung.pdf

Vgl. auch:

Dabrock, P. (2007). Formen der Selbstbestimmung. Theologisch-ethische Perspektiven zu Patientenverfügungen im Demenzfall. Zeitschrift für medizinische Ethik, 53(2), 127–144. https://brill.com/view/journals/zfme/53/2/article-p127_4.xml?rskey=fzYGFd&result=6&ebody=pdf-67975

Für eine weiterführende ausführliche Darstellung siehe:

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften. Im Blickpunkt "Patient*innenverfügungen". https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/patientinnenverfuegungen

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