Enhancement der menschlichen Lebensspanne
Zwar wird das Altern als solches nicht als Krankheit angesehen, jedoch treten viele seiner Begleiterscheinungen auch als Krankheitssymptome auf, so dass der Begriff der Anti-Aging-Medizin mit einigem Recht reklamiert, dass es sich beim Bemühen um eine Vermeidung oder Verringerung altersbedingter Gesundheitsprobleme um eine medizinische Aufgabe handelt. Trotzdem sind viele Bioethiker*innen der Ansicht, dass Maßnahmen der Anti-Aging-Medizin spätestens dann als Enhancement zu betrachten seien, wenn sie nicht mehr auf ein gesundes Ausschöpfen der „natürlichen“ Lebenserwartung, sondern auf deren erhebliche Ausweitung gerichtet sind. Einige Forschende hoffen sogar, dass mittels biotechnischer Verfahren der menschliche Alterungsprozess derart verlangsamt werden könne, dass eine Lebensspanne von mehreren Jahrhunderten denkbar sei oder dass innerhalb der nächsten Jahrzehnte der Alterungsprozess sogar ganz zum Stillstand gebracht werden könne.
Befürwortende der biotechnischen Lebensverlängerungen sind etwa:
De Grey, A. (2005): Life Extension, Human Rights, and the Rational Refinement of Repugnance. In: Journal of Medical Ethics, 2005, 31 (11), 659–663.
De Grey, A. / Rae, M. (2010): Niemals alt! So lässt sich das Altern umkehren. Fortschritte der Verjüngungsforschung. Bielefeld: transcript.
(Originalausgabe: De Grey, A. / Rae, M. [2008]: Ending Aging: The Rejuvenation Breakthroughs That Could Reverse Human Aging in Our Lifetime. New York: St. Martin’s).
Freitras, R. A. Jr. (2009): Nanomedizin. Die Suche nach unfallbegrenzten Lebensspannen. In: Knell, S. / Weber, M. (Hg.): Länger leben? Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven. Aus dem Engl. übers. v. M. Weber. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 63–73.
Kurzweil, R. / Grossman, T. (2005): Fantastic Voyage. Live Long Enough to Live Forever. Science behind Radical Life Extension. New York: Plume.
Sinclair, D. A. / LaPlante, M. D. (2019): Das Ende des Alterns. Die revolutionäre Medizin von Morgen. Aus dem Engl. übers. v. S. Vogel. Köln: DuMont.
Bostrom, N. (2005): Das Märchen vom tyrannischen Drachen. In: Journal of Medical Ethics, 2005, 31 (5), 273–277. Online Version
Szenarien einer erheblichen Verlängerung der menschlichen Lebensspanne sind zum einen eine Herausforderung für solche Theorien des glücklichen Lebens, die in der Endlichkeit des menschlichen Lebens eine entscheidende Voraussetzung für dessen Gelingen sehen. Auch wenn viele Menschen das Angebot einer deutlichen Verlängerung ihrer Lebenszeit ohne größere Bedenken annehmen würden, kann hinterfragt werden, ob ein längeres immer auch ein erfüllteres Leben ist. Zum anderen rufen Szenarien einer radikalen Lebensverlängerung Gerechtigkeitsbedenken hervor, die bezüglich vieler Enhancement-Anwendungen diskutiert werden (vgl. Abschnitt II.3 der ethischen Problemstellungen im Haupttext dieses Blickpunktes). Es erschiene als besonders extreme Ausprägung von Ungerechtigkeit, wenn zukünftig sehr kostspielige biotechnische Verfahren einer privilegierten Oberschicht zu einer um mehrere Jahrzehnte verlängerten Lebensspanne verhelfen würden.
Für eine explizit ethische Auseinandersetzung mit biotechnischer Lebensverlängereung siehe etwa:
Knell, S. (2015): Die Eroberung der Zeit. Grundzüge einer Philosophie verlängerter Lebensspannen. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Knell, S. / Weber, M. (Hg.) (2009): Länger leben? Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Knell, S. (2017): „Philosophische und ethische Aspekte des Alterns“. In: Sturma, D. /Lanzerath, D. (Hg.): Altern. Biologische, psychologische und ethische Aspekte. Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsberichte des DRZE, Bd. 16. Freiburg/München: Karl Alber, 106–162.
Knell, S. (2018): „Lebenszeit und Ergonzeit. Das Projekt der biotechnischen Lebensverlängerung aus anthropologischer Sicht“. In: Hartung, G. / Herrgen, M. (Hg.): Interdisziplinäre Anthropologie. Jahrbuch 5/2017: Lebensspanne 2.0. Wiesbaden: Springer, 3–32.
Knell, S. (2018): „Erweiterte Lebenszeit und Zeitknappheit. Überlegungen zu ihrer philosophischen Bewertung“. In: Dietrich, F. / Müller-Salo, J. / Schmücker, R. (Hg.): Zeit – eine normative Ressource? Klostermann Rote Reihe, 106. Frankfurt a. M: Klostermann, 106–120.
The President’s Council on Bioethics (2009): „Körper, die nicht altern“. In: Knell, S. / Weber, M. (Hg.): Länger leben? Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven. Aus dem Engl. übers. v. S. Knell. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 77–116.
Harris, J. (2007): Enhancing Evolution. The Ethical Case for Making Better People. Princeton/Woodstock: Princeton University Press.
Harris, J. (2009): „Anmerkungen zur Unsterblichkeit. Die Ethik und Gerechtigkeit lebensverlängernder Therapien“. In: Knell, S. / Weber, M. (Hg.): Länger leben? Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven. Aus dem Engl. übers. v. M. Mertz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 174–209.
Wittwer, H. (Hg.) (2014): Der Tod. Philosophische Texte von der Antike bis zur Gegenwart. Ditzingen.