Genetisches Enhancement
Als zukunftsweisender und derzeit am lebhaftesten diskutierter Bereich des Enhancements kann die Debatte um Eingriffe in das menschliche Genom zu nicht-medizinischen Zwecken betrachtet werden (vgl. das Modul „Eingriffe in die menschliche Keimbahn“ sowie den Blickpunkt „Genomeditierung in der Humanmedizin“, für einen Überblick in die Methoden der Genomeditierung vgl. das Modul "Genomeditierung"). Als genetisches Enhancement werden Eingriffe in das menschliche Erbgut verstanden, die individuellen Wünschen entsprechend die Veränderung, Verbesserung oder den Erhalt von genetisch determinierten Eigenschaften zum Ziel haben. Hierbei können „positiv“ gewünschte Eigenschaften erzeugt oder „negativ“ unerwünschte Eigenschaften verhindert oder eliminiert werden. Generell wird unterschieden zwischen der Körperzellen-Gentechnik, mit der gezielt in das Erbgut somatischer Zellen eingegriffen wird, um ein bestimmtes Merkmal in einer Einzelperson zu verändern, und der Keimzellen-Gentechnik, durch die über die Keimbahn gewünschte Merkmale von Nachkommenden nach Wunsch beeinflusst werden können. Zwar ist das genetische Enhancement im Gegensatz zu den anderen Bereichen noch nicht sehr verbreitet, die rasche Entwicklung von neuen Methoden ermöglicht jedoch Szenarien, in denen Veränderungen des Erbguts über die Behandlung von Krankheiten hinausgehen.
Die ersten Versuche, Krankheiten mit Hilfe von Gentherapien zu behandeln, erfolgten ab dem Jahr 1990, in dem die weltweit erste gentherapeutische Behandlung an der damals vierjährigen Ashanti DeSilva durchgeführt wurde, die an einem seltenen schweren Immundefekt litt. Anfangs waren gentherapeutische Maßnahmen oft von schweren Rückschlägen begleitet. Erste zugelassene Medikamente wurden wegen geringer Erfolge bald wieder vom Markt genommen (Cerepro, Glybera) und die anfängliche Euphorie um neue gentherapeutische Methoden ebbte schnell wieder ab, insbesondere aufgrund des problematischen medizinischen Risiko-Nutzen-Verhältnisses. Aufgrund neuer Fortschritte und Entwicklungen sind jedoch aktuell Gentherapien als potenzielle Therapiemethoden wieder in den Fokus gerückt, werden jedoch aufgrund vielfältiger ethischer Implikationen aus ethischer wie juristischer Perspektive stark diskutiert.
Weiterführende Literatur zu ethischen Aspekten des genetischen Enhancements:
Fuchs, M. / Lanzerath, D. / Hillebrand, I. / Runkel, T. / Balcerak, M. / Schmitz, B. (Hg.) (2002): Enhancement. Die ethische Diskussion über biomedizinische Verbesserungen des Menschen. Ethik in den Biowissenschaften – Sachstandsberichte des DRZE, Bd. 1.
Birnbacher, D. (2018): Gentechnisches Enhancement. In: Diekämper, J. / Fangerau, H. / Fehse, B. et al. (Hg.): Vierter Gentechnologiebericht. Bilanzierung einer Hochtechnologie. Baden-Baden: Nomos, 237–250.
Kipke, R. / Rothhaar, M. / Hähnel, M. (2017): Contra: Soll das sogenannte „Gene Editing“ mittels CRISPR/Cas9-Technologie an menschlichen Embryonen erforscht werden?. Ethik Med 29 (3), 249–252. doi: 10.1007/s00481-017-0435-y Online Version
Linder, J. F. (2017): Die genetische Optimierung des Menschen aus juristischer Perspektive. In: Zeitschrift für Lebensrecht 26 (3), 104–108.
Birnbacher, D. (2018): Genetisches Enhancement. In: Hucho, F. et al. (Hg.): Vierter Gentechnologiebericht: Bilanzierung einer Hochtechnologie. Baden-Baden: Nomos, 237–250.
Gießelmann, K. / Richter-Kuhlmann, E. (2018): Genome Editing: Die Zukunft der Gentechnik. In: Deutsches Ärzteblatt 115 (37): A-1586 / B-1339 / C-1327. Online Version
Fenner, D. (2019): Selbstoptimierung und Enhancement. Ein ethischer Grundriss. Tübingen: UTB. Insbes. Kapitel 5: Genetisches Enhancement, 289–319.
Für ethische Stellungnahmen zum genetischen Enhancement siehe etwa:
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina / Deutsche Forschungsgemeinschaft /acatech ‒ Deutsche Akademie der Technikwissenschaften / Union der deutschen Akademien der Wissenschaften (2015): Chancen und Grenzen des genome editing. The opportunities and limits of genome editing. Stelungnahme. Online Version
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2017): Ethische und rechtliche Beurteilung des genome editing in der Forschung an humanen Zellen. Ethical and legal assessment of genome editing in research on human cells. Diskussionspapier Nr. 10. Online Version
Deutscher Ethikrat (2017): Keimbahneingriff am menschlichen Embryo: deutscher Ethikrat fordert globalen politischen Diskurs und internationale Regulierungen. Ad-hoc-Empfehlung. Online Version
Deutscher Ethikrat (2019): Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Stellungnahme vom 9. Mai 2019. Online Version
Comité Consultatif National d’Éthique pour les sciences de la vie et de la santé / Deutscher Ethikrat / Nuffield Council on Bioethics (2020): Joint Statement on the Ethics of Heritable Human Genome Editing. Erklärung vom 3. März 2020. Online Version (Englisch)