Genomeditierung in der Humanmedizin
Methoden der Genomeditierung
Unter dem Begriff der Genomeditierung werden moderne molekularbiologische Verfahren zusammengefasst, die gezielte Veränderungen an dem Genom eines Organismus ermöglichen. Aufgrund ihrer Präzision zeichnen sich moderne gegenüber den bisherigen Verfahren der Gentechnik insbesondere in zwei wichtigen Hinsichten aus: Zum einen können die durch sie bewirkten Mutationen von solchen, die auf natürliche Weise zustande kommen, kaum oder gar nicht unterschieden werden. Zum anderen werden durch moderne Verfahren zumeist keine Gene bzw. Sequenzen von Genen von außen eingebracht; meist wird vielmehr das vorhandene DNA-Material an wenigen, genau bestimmten Stellen verändert.
Den meisten modernen Verfahren sind grob drei Schritte gemein: (1) Zunächst muss eine spezifische Stelle des Genoms, eine Gensequenz, identifiziert und durch zur Zielsequenz passende „Sonden“ angesteuert werden. (2) Anschließend wird der DNA-Doppelstrang an einer exakt definierten Stelle durch sogenannte Nukleasen durchgeschnitten. Neuere Verfahren des sogenannten prime editing und des base editing kommen ohne das vollständige Durchtrennen des Doppelstrangs aus. (3) Danach reparieren zelleigene Mechanismen die Schnitte an der DNA, wobei die Art der Reparatur über die Auswirkungen der Genomeditierung entscheiden. So können durch die Reparaturen einzelne Gene ausgeschaltet werden („Knock-Out“), es können Abschnitte eingefügt (Insertion einer eingebrachten ‚Reparatur-Matritze‘) oder entfernt werden (Deletion) und so insgesamt das Ausbildung neuer Eigenschaften bedingen.
Die wichtigsten Verfahren sind die sogenannten Designernukleasen CRISPR/Cas (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats), ZFN (Zinc-Finger Nuclease) und TALEN (Transcription Activator-Like Effector Nuclease). Am weitesten verbreitet ist das sog. CRISPR/Cas9-System. Bei dem CRISPR/Cas-System dient die integrierte RNA (sog. „Guide-RNA“) zur Erkennung der spezifischen DNA-Sequenz, die editiert werden soll. Die RNA übernimmt allgemein in einer Zelle die Funktion aus dem Genom Informationen über den Aufbau von Proteinen auszulesen. Neben der integrierten RNA bedient sich das CRISPR/Cas-System des daran gekoppelten Cas-Proteins (häufig Cas9), mit dem das Erbgut geschnitten werden kann. Allgemein ahmt das CRISPR/Cas9-System einen Abwehrmechanismus von Bakterien nach, der auf das unerwünschte Eindringen eines Virus in das Bakterium gerichtet ist. Im Rahmen der Immunreaktion des Bakteriums wird das Erbgut des Virus ‚zerschnitten‘ und so im besten Fall für das Bakterium unschädlich gemacht. Die schnelle, einfache und kostengünstige Herstellung dieser präzisen „Gen-Schere“ führte schnell dazu, dass sie inzwischen weit über die Grundlagenforschung hinaus angewendet wird.
Allgemeine Anwendungsbereiche
Da die Genomeditierung grundsätzlich an allen Organismen vorgenommen werden kann, sind die Anwendungsmöglichkeiten vielfältig. Wesentliche Anwendungsfelder sind unter anderem der Einsatz der Genomeditierung in der Pflanzen- und Tierzüchtung und in der Humanmedizin, wobei der vorliegende Blickpunkt auf letzteren Bereich fokussiert ist.
Einführende Einblicke in die Anwendung der Genomeditierung in der Pflanzenzüchtung eröffnet der Blickpunkt „Gentechnisch veränderte Lebensmittel“.
Humanmedizinische Anwendungsbereiche und Forschungsziele
Mit Blick auf die Vielfalt an potenziellen Anwendungsbereichen und Einsatzzielen auch im engeren humanmedizinischen Bereich ist es für eine erste Orientierung hilfreich zwischen den Ansatzpunkten der genetischen Editierung zu differenzieren: Entweder wird eine Modifikation des Erbguts von Körperzellen (somatischen Zellen) vorgenommen, die sich auf den individuellen Patienten oder die individuelle Patientin beschränkt (somatische Gentherapie), oder es wird in das Erbgut von Keimzellen (Spermien oder Eizellen und deren Vorstufen) eingegriffen, um das Erbgut der Nachkommen zu verändern (Keimbahntherapie). Somatische Gentherapie und Keimbahntherapie unterscheiden sich somit in der Art der Zellen, die genetisch editiert werden.
Klinische Anwendung der Genomeditierung zur somatischen Therapie
Eine genetische Editierung von Körperzellen kann sehr vielfältige Prozesse in der klinischen Praxis unterstützen. Neben der Behandlung genetisch verursachter Krankheiten kann sie etwa auch für die Behandlung von Erkrankungen eingesetzt werden, die erst im Laufe des Lebens erworben wurden, wie etwa Infektionskrankheiten oder bestimmte Formen von Krebserkrankungen. Jenseits der Behandlung bereits manifester Erkrankungen kann eine genetische Editierung aber auch auf die Prävention gerichtet sein, also auf das Unterbinden des tatsächlichen Auftretens einer Erkrankung. Darüber hinaus ließen sich perspektivisch die Verfahren der genetischen Editierung auch für Ziele des Enhancement einsetzen, also zur Verbesserung bestimmter menschlicher Fähigkeiten oder Eigenschaften, die nicht im engeren Sinne im Zusammenhang mit einer Krankheit stehen.
Klinische Anwendung der Genomeditierung zur Keimbahnveränderung
Die Möglichkeit, genetische Veränderungen an menschlichen Keimzellen vorzunehmen, besteht erst seit der Entdeckung der Editierungswerkzeuge, insbesondere seit der Verfügbarkeit des CRISPR/Cas9-Systems. Eine genetische Editierung auf Keimbahnebene an humanen Embryonen wurde im Rahmen mehrerer Studien bereits durchgeführt. Zuvor waren genetische Änderungen an Keimzellen nur an anderen Organismen wie Mäusen oder Ratten möglich.
Die Keimbahnintervention (auch: Keimbahntherapie) zielt auf die genetische Veränderung von Keimzellen ab, d. h. von Spermien, Eizellen oder Vorstufen von beiden Zelltypen. Während dabei die Genomeditierung innerhalb der somatischen Gentherapie zunächst nur eine Auswahl von Körperzellen anvisieren kann, kann durch die Veränderung von z. B. einzelligen Embryonen die vorgenommene genetische Modifikation von ebendieser Zelle vollständig an alle aus ihr weiter durch Teilung entstehenden Zellen weitergegeben werden. Da aus Keimzellen weitere differenzierte Zellen und Zellarten eines Menschen entstehen, durchzieht die genetisch vorgenommene Veränderung infolgedessen alle oder nahezu alle Zellen des jeweiligen Menschen.
Keimbahninterventionen zielen in der Regel auf die Prävention der Weitergabe von schwerwiegenden, genetisch bedingten Erbkrankheiten an die Nachkommen einer diesen Gendefekt tragenden Person ab. Jenseits dessen könnte die Modifizierung der genetischen Information von Keimzellen prinzipiell auch dazu eingesetzt werden, andere Dispositionen, Eigenschaften und Fähigkeiten zu verändern.
Genomeditierung und humanmedizinische Grundlagenforschung
Hinsichtlich einer möglichen klinischen Anwendung der Genomeditierung verspricht man sich aus der Grundlagenforschung wichtige Erkenntnisse zu molekularbiologischen Prozessen. Über die Möglichkeit mithilfe der Editierungswerkzeuge jeweils einzelne Gene ‚auszuschalten‘ eröffnen sie in der Grundlagenforschung Erkenntnisse über zu- und abträgliche Effekte der jeweiligen Gene und ihrer Interaktion. Beispielsweise erhofft man sich hiervon unter anderem Erkenntnisse über Ursachen von Störungen im Verlauf der frühen embryonalen Entwicklung. Zugleich könnte es wünschenswert sein, diese Erkenntnisse längerfristig gezielt einsetzen zu können, um Wechselbeziehungen auf molekularbiologischer Ebene gezielt zu beeinflussen – etwa, um Wirkstoffe passgenau entwickeln und einsetzen zu können.
Ein ähnliches Ziel ist mit Forschungsansätzen verbunden, die mithilfe von Genomeditierungsverfahren Zellmodelle, Zelltypen oder auch Organoide herstellen, an denen sich unter anderem Krankheitsverläufe und Wirkmechanismen von Medikamenten zielgenauer untersuchen lassen. Dies schließt die noch präziser auf einzelne Anliegen gerichtete Schaffung genetisch editierter Säugetiere für Versuchszwecke ein, an denen Verläufe und Therapiemöglichkeiten für schwerwiegende Erkrankungen mit Blick auf die Humanmedizin untersucht werden können.
Obgleich die Forschung zur Genomeditierung an menschlichen Zellen zum Teil sehr hochrangige therapeutische Ziele verfolgt, sind mit ihr eine Reihe zentraler ethischer Problemstellungen verbunden.
Die Darstellung der ethischen Problem- und Fragestellungen, die der Einsatz der Genomeditierung in der Humanmedizin aufwirft, ist im Folgenden in drei Etappen untergliedert. Bevor eine klinische Prüfung der Genomeditierung an Menschen überhaupt erfolgen kann, muss gewährleistet sein, dass ihre Durchführung prinzipiell ethisch zulässig sowie ausreichend sicher ist. Inwiefern Interventionen als sicher gelten wird dabei im Rückgriff auf bezifferbare Risiken und ihre Reichweite erfasst. Wenn im Anschluss an die erste Etappe zumindest keine Gründe ausgemacht werden konnten, die prinzipiell gegen eine Anwendung der Genomeditierung bei Menschen sprechen, schließt sich in Bezug auf klinische Studien eine einzelfallbezogene Abwägung von Risiken mit dem potenziellen therapeutischen Nutzen an. Für die ethische Bewertung der Genomeditierung an Menschen ist hier maßgeblich zu klären, inwiefern der therapeutische Nutzen die Risiken aufwiegen kann. In Vorausschau auf mögliche klinische Anwendungen sind für eine umfassende ethische Bewertung der Genomeditierung in der Humanmedizin schließlich weiterführende ethische Implikationen zu berücksichtigen. Dies betrifft etwa die Gestaltung eines fairen Zugangs zu neuartigen medizinischen Therapien oder auch die Auswirkungen genetischer Editierung einzelner Menschen auf das soziale Gefüge innerhalb von Gesellschaften.
Vor der Anwendung: Risikoerwägungen zur genetischen Editierung menschlicher Zellen
Wie auch bei anderen neuartigen Verfahren gilt für den Einsatz der Genomeditierung in der Humanmedizin zunächst die Vorgabe, dass eine Anwendung am Menschen ausreichend sicher sein muss, bevor sie praktiziert werden darf. Dabei beruht diese Vorgabe maßgeblich auf dem zentralen biomedizinischen Prinzip der Fürsorge, dem oftmals im Rahmen einer Abwägung von Risiken und therapeutischem Nutzen entsprochen wird.
Risikoerwägungen und die Effizienz der Editierungsverfahren
Um perspektivisch einzelne Methoden der Genomeditierung in der Humanmedizin sicher einsetzen zu können, müssten Risiken und Nebenwirkungen nicht nur bekannt, sondern auch zumindest in gewissen Hinsichten steuerbar sein. Dies setzt voraus, dass im Anschluss an die Grundlagenforschung zur Editierung ihre Wirkmechanismen verstanden und beeinflusst werden können.
Eine wesentliche Herausforderung stellen hierbei sogenannte Off-target-Effekte und On-target-Effekte dar. Erfolgt bei dem Einsatz der Genomeditierung eine Veränderung einer DNA-Sequenz außerhalb derjenigen, die eigentlich modifiziert werden sollte, liegt ein Editierungseffekt außerhalb des Zielbereichs (off target) vor. Unerwünschte off-target-Effekte an somatischen Zellen, die bisher beobachtet wurden, sind unter anderem das Ausbilden von Tumorzellen. Dabei stellen Off-target-Effekte Herausforderungen dar, die mit der Anwendung der bisherigen, konventionellen Gentherapien nicht verbunden waren. In Bezug auf die Editierung von Keimzellen besteht eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Off-target-Effekten, da diese Effekte im Zusammenhang mit Zellteilungen stehen und sich die Zellen im Embryonal-, Fetal- und Kindesalter besonders häufig teilen.
Erfolgt eine Editierung in der anvisierten DNA-Sequenz, jedoch nicht so, wie beabsichtigt, liegt ein unerwünschter Editierungseffekt innerhalb des Zielbereichs (on target) vor. Sie entsteht meist aus der fehlerhaften Reparatur des Doppelstrangbruchs, die z. B. zu dem unerwünschten Einfügen (Insertion) oder Deaktivieren von Sequenzen führen kann. Infolgedessen bleibt die therapeutisch beabsichtigte Folge der Editierung ganz oder zumindest in dem erhofften Umfang aus. Es entsteht das Risiko einer gar nicht oder nur partiell wirksamen therapeutischen Intervention. Eine maßgebliche Bedeutung kommt daher der Tiefe des Eingriffs in die DNA (vollständiger Bruch oder partieller Schnitt) sowie dem damit verbundenen Erfolg der anschließend erfolgenden Reparatur des Schnitts durch zelleigene Mechanismen zu. Auswege hierzu versprechen neuere Möglichkeiten der Genomeditierung – das sog. prime editing oder das base editing –, die auf Doppelstrangbrüche der DNA verzichten.
Eine mit On-target-Effekten verbundene Herausforderung stellt weiterhin das Auftreten des sogenannten Mosaizismus dar, bei dem zwar die Editierung einiger Zellen erfolgreich war, das Ergebnis insgesamt aber keine ausreichend flächendeckende Veränderung der Zellen darstellt. Dies ist etwa bei somatischen Behandlungen von besonderer Bedeutung, wenn die Zellen mehrerer verschiedener Organe, die infolge einer Erkrankung betroffen sind, flächendeckend verändert werden sollen. Mit Blick auf die Editierung von Keimzellen tritt verschärfend eine nur partielle Möglichkeit der Kontrolle im Anschluss an eine genetische Editierung hinzu. So ermöglicht insbesondere eine Präimplantationsdiagnostik (PID) nur die Untersuchung der hierfür entnommenen Zelle eines Embryos oder Fötus – Aussagen über die erfolgreiche Editierung können somit immer nur über die hierfür entnommene Zelle getroffen werden. Diese nur partielle Möglichkeit der Kontrolle einer Editierung ist im Hinblick auf eine mögliche Mosaikbildung in Embryonen von großer Bedeutung, da hierauf bezogen spätere, unerwünschte Nebenfolgen auftreten könnten. Ein wichtiger Schritt in der Forschung zum Mosaizismus besteht daher auch in der Weiterentwicklung von Instrumenten zur Detektion dieser Effekte. Als möglicher therapeutischer Ausweg wird u. a. eine genetische Editierung zuvor künstlich erstellter Ei- oder Samenzellen erforscht.
In ethischer Hinsicht sind derartige Wissenslücken, also Unklarheiten in Bezug auf unerwünschte on- und off-target Effekte deshalb von Bedeutung, weil angesichts der erhofften therapeutischen Einsatzmöglichkeiten eine Abwägung erfolgen muss, wie viele und wie große Risiken eingegangen werden sollten, wenn diese Verfahren in einem ersten Schritt im Rahmen klinischer Studien an Menschen angewendet werden sollen.
Spezifische Risikoerwägungen zur Editierung von Keimbahnen
Anders als beim Einsatz der Methoden der Genomeditierung zur somatischen Gentherapie ist die ethische Diskussion zur Keimbahntherapie weniger auf Bedingungen einer klinischen Prüfung und Anwendung, sondern auf die vorgelagerte Frage fokussiert, inwieweit überhaupt ihre Erforschung gerechtfertigt werden kann. Ethische Aspekte der Keimbahnintervention wurden bereits am Ende des 20. Jahrhunderts betrachtet. Mit dem Durchbruch von insbesondere dem CRISPR-Cas9-System änderte sich jedoch die technische Machbarkeit einer solchen Intervention, die überdies mit dem Wandel der Bewertung sowie der ebenfalls erweiterten Möglichkeiten der technologischen Assistenz in der humanen Reproduktionsmedizin zusammentraf.
Die Anwendung der Genomeditierung zur Veränderung der Keimbahn ist mit weiteren Risiken für die Nachkommen der Personen verbunden, deren Genom editiert wurde. Da sich die genetischen Veränderungen von Keimzellen im Gegensatz zur somatischen Gentherapie auf alle künftigen Nachkommen derjenigen Personen auswirken, deren Gene im Embryonalstadium editiert wurden, können in späteren Nachkommen unerwünschte Reaktionen infolge der genetischen Veränderungen auftreten. Dies ist insbesondere der Fall, weil bei jeder neuen Generation eine Neukombination der elterlichen DNA auftritt, welche bisher unbekannte, genetische Wechselwirkungen begünstigen könnte. Diese tiefe Auswirkung auf mehrere Menschen gewinnt dadurch noch an Bedeutung, dass die Editierung potenziell irreversibel ist, und damit bei dem Auftreten möglicher, unerwünschter Nebenfolgen nicht oder nur sehr begrenzt beeinflusst werden kann.
Aus forschungsethischer Perspektive entsteht die Problematik, dass die Sicherheit der klinischen Anwendung der Keimbahntherapie nur nach ihrer Erprobung an menschlichen Testpersonen näher bemessen werden kann. Ein zentrales Anliegen wäre dabei etwa zu ersehen, inwiefern sich die Editierung der Keimzellen im weiteren Verlauf der Entwicklung des Embryos bis hin zum später geborenen Menschen in sämtlichen Körperzellen manifestiert. Bei einer umfassenden Sicherheitsabwägung wären hierbei auch mögliche Interaktionen von verschiedenen genetischen Sequenzen sowie von genetischen Sequenzen mit Umweltfaktoren zu berücksichtigen. Der abschließende, mögliche Erfolg einer vorgenommenen Editierung ließe sich daher nach dem bisherigen Forschungsstand nur an der Weiterentwicklung eines Menschen vom Embryo bis hin zu seiner Geburt und darüber hinaus absehen, einschließlich der Folgen für die von diesen Menschen abstammenden Nachkommen. Gleichzeitig ist angesichts der Tiefe und Reichweite der möglichen Folgen ein Maß an Sicherheit vor der Aufnahme solcherart klinischer Studien von Nöten, um die Erprobung im Rahmen einer klinischen Studie überhaupt rechtfertigen zu können.
Das Zusammentreten der dargelegten ethischen Erwägungen zur Sicherheit der Verfahren hat nach dem bisherigen Forschungsstand eine Vielzahl von Institutionen und Forschenden dazu veranlasst, sich gegen eine Anwendung der Keimbahnintervention, und darin eingeschlossen gegen eine Anwendung bereits im Rahmen klinischer Studien, auszusprechen und ein internationales Moratorium hierzu einzusetzen.
Forschung zur Genomeditierung von Keimzellen und der Verbrauch von Embryonen
Erkenntnisse dazu, wie zielgenau, präzise und nachhaltig Genomeditierungsverfahren Keimzellen verändern können, lassen sich nur partiell von parallelen Versuchen an Tieren auf humanmedizinische Kontexte übertragen. Umfassende Erkenntnisse lassen sich daher nur dann gewinnen, wenn sie an menschlichen Embryonen erprobt werden können. Versuche dieser Art an menschlichen Embryonen fallen in den Bereich der sogenannten verbrauchenden Embryonenforschung, deren ethische Bewertung strittig ist.
Das deutsche Embryonenschutzgesetz lässt beispielsweise nur solche Veränderungen an Embryonen zu, die das Ziel verfolgen, eine Schwangerschaft zu unterstützen. Geht man davon aus, dass jenseits dieses Ziels Veränderungen und damit auch die Forschung an Embryonen prinzipiell unzulässig sind, so spräche dies dafür, dass ein Großteil der Anwendungsformen von Genomeditierung an Embryonen nicht gerechtfertigt werden kann. Infolgedessen ist etwa in Deutschland die weiterführende klinische Erforschung und Anwendung der Keimbahntherapie gesetzlich verboten. Allerdings wird vielfach auch die Position vertreten, dass Forschung an Embryonen dann zulässig sein kann, wenn sie hochrangige therapeutische Ziele verfolgt. Damit wäre dann die Möglichkeit eröffnet, den „Verbrauch“ von Embryonen im Rahmen der Forschung zur Genomeditierung in einzelnen Fällen als ethisch zulässig zu bewerten. Eine solche Position findet sich etwa in der Stellungnahme zur Genomeditierung von 2017 der US-amerikanischen Dachorganisation für die Wissenschaftsakademien „National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine“ ausgedrückt, die unter strengen Auflagen und u. a. ausschließlich mit Blick auf hochrangige therapeutische Ziele die mögliche Genehmigung von genetischen Editionen an menschlichen Embryonen offen hält.
Klinische Studien: Der potenzielle therapeutische Nutzen in der Humanmedizin
Der potenzielle Nutzen der genetischen Editierung somatischer Zellen
Gentherapeutische Eingriffe in somatische Zellen werden bereits seit vielen Jahren mit viralen Vektoren vorgenommen (siehe hierzu weiterführend den Blickpunkt Somatische Gentherapie). Obgleich der Einsatz von Methoden der Genomeditierung auch in diesem Anwendungsbereich neuer ist, bestehen hier aufgrund der anderen, bereits angewandten Verfahren der Gentherapie Vorkenntnisse zu Auswirkungen und Wechselwirkungen von Veränderungen an der genetischen Information menschlicher Körperzellen. Da infolgedessen Genomeditierungsverfahren hier schneller und häufiger zur klinischen Anwendung kommen, sind die ethischen Aspekte hiervon vor allem im Bereich der klinischen Studien und ihrer Sicherheitsvoraussetzungen verortet. Eine Beurteilung des potentiellen Nutzens der Genomeditierung im Rahmen einer somatischen Therapie beruht dann maßgeblich auf einer Bewertung der Hochrangigkeit der damit verfolgten therapeutischen Ziele sowie auf der Verfügbarkeit von therapeutischen Alternativen. Im Folgenden wird zunächst eine Reihe von therapeutischen Ansatzpunkten dargestellt, die einen potenziellen Nutzen der Anwendung von Genomeditierung und eine Begründung für die Zulässigkeit klinischer Studien hierzu rechtfertigen könnten.
Genomeditierung somatischer Zellen und die Verbesserung konventioneller Gentherapien
Eine übergreifende Hoffnung besteht in der Forschung zur Gentherapie darin, konventionelle Gentherapien mithilfe insbesondere des CRISPR/Cas9-Systems zu verbessern. Beispielsweise sollen die deutlich zielgenauer und präziser arbeitenden Genomeditierungsverfahren das Auftreten sog. Insertionsmutagenesen, die bei bisherigen Gentherapien zum Teil unerwünschte Nebenwirkungen als Folge von nicht beabsichtigten Mutationen hervorriefen, verringern oder ganz verhindern.
Zu den Erkrankungsformen, die zunächst mithilfe konventioneller Gentherapien und in den letzten Jahren verbessert durch Geneditierungsverfahren untersucht und teilweise therapiert wurden, zählen unter anderem genetisch veranlagte Blindheit, spinale Muskelatrophie, β-Thalassämie und bestimmte Krebsformen wie u. a. die der Leukämie.
Eine weitere Möglichkeit der Verbesserung besteht in der Verringerung von Immunreaktionen, die auf etablierte Therapien etwa im Rahmen von Krebstherapien hin auftreten können und so bisher die Effizienz der Therapie schwächte.
Weiterhin eröffnen Genomeditierungsverfahren voraussichtlich verbesserte therapeutische Möglichkeiten für noch ungeborene Menschen in utero. Dabei fällt diese Form der Genomeditierung in utero in den Bereich der somatischen Gentherapie und nicht der Keimbahntherapie, da sie an Zellen vorgenommen wird, die bereits über das Keimzellstadium hinaus innerhalb eines sich bereits weiter entwickelten menschlichen Fötus differenziert sind. Das besondere Anwendungspotential dieses Therapieansatzes entsteht womöglich dort, wo genetisch bedingte Krankheiten bereits vorgeburtlich und flächendeckend mehrere Bereiche negativ verändern, wie etwa bei Stoffwechselerkrankungen wie derjenigen der Mukoviszidose. Eine konventionelle somatische Gentherapie, die erst bei schon geborenen Menschen angewandt werden kann, zeigt bei diesen Krankheitsbildern einen nur sehr begrenzten therapeutischen Erfolg, weil sich die Krankheit zu diesem Zeitpunkt bereits flächendeckend manifestiert. Allerdings sind auch die Erfolge der auf Genomeditierung basierenden Therapien zum Teil begrenzt, was maßgeblich mit der zum Teil noch zu geringen Effizienz des Transports der Editierungswerkzeuge hin zu den betroffenen Gewebearten und -stellen zusammenhängt.
Mit Blick auf die Abwägung von therapeutischem Nutzen und den genannten Risiken einer somatischen Gentherapie mittels Genomeditierung ist daher aus ethischer Perspektive jeweils mit zu berücksichtigen, inwiefern etablierte und weniger risikoreiche therapeutische Alternativen bestehen, inwieweit diese weniger effizient sind, inwieweit eine Genomeditierung statt einer Behandlung eine Heilung verspricht und ob diese Aspekte ggf. die Inkaufnahme erhöhter Risiken einer Genomeditierung begründen können.
Genomeditierung somatischer Zellen und die Korrektur von Zell-Fehlfunktionen
Schließlich erhofft man sich von dem Einsatz der Genomeditierung in der somatischen Gentherapie für Menschen eine Möglichkeit, krankheitsbedingte Fehlfunktionen von Zellen kompensieren zu können. Beispielsweise wird erforscht inwiefern die Editierung von ausgewählten Zellen, genauer die Aktivierung oder das Re-aktivieren darin bisher nicht aktivierter Gene, die Funktion von anderen Zellen unterstützen oder ganz übernehmen kann. Dies könnte unter anderem einen therapeutischen Nutzen bezüglich der Sichelzellkrankheit erbringen, da sie auf der Fehlfunktion von spezifischen Blutzellen beruht.
Ein besonders großes Potential entfaltet die Genomeditierung aber möglicherweise in den klinischen Bereichen, in denen Gentherapien bisher nicht angewandt werden konnten. So konnte bisher die Leber’sche kongenitale Amaurose Typ 10 nicht therapiert werden, weil für konventionelle Therapien zu viele Abschnitte des Genoms auf einmal zu ändern wären. Auch in Bezug auf Krankheitsbilder, in denen keine Funktion eines Gens kompensiert werden muss, sondern die Fehlfunktion eines Gens beeinflusst werden muss, verspricht die Genomeditierung genuine Therapiemöglichkeiten, wie etwa in Bezug auf Chorea Huntington, die über die Deaktivierung des fehlerhaft agierenden Gens ggf. therapierbar wäre.
Hierauf bezogen wäre dann bei der Entscheidung über die Zulässigkeit klinischer Studien in diesem Bereich zu berücksichtigen, dass keine therapeutischen Alternativen bestehen, die potenziellen Risiken für Versuchspersonen in einer klinischen Studie also dem möglicherweise großen Nutzen gegenüberständen, eine bisher nicht therapierbare Erkrankung im besten Fall ärztlich behandeln zu können. Allerdings wäre bei dieser Abwägung ebenso zu berücksichtigen, dass angesichts der Neuheit der Editierungsverfahren nur partielles Wissen zu möglichen Nebenwirkungen besteht, sodass die Testpersonen in klinischen Studien möglicherweise unerwartet mit unerwünschten, schwerwiegenden Nebenwirkungen konfrontiert sein könnten. So zählen angesichts der geringen Fallzahlen bisher untersuchter Editierungsverfahren an Menschen diese Art von Studien oftmals in den Bereich der Heilversuche und nicht in den der klinischen Studien, die in der Regel unter anderem breitere Erkenntnisse in dem Untersuchungsfeld sowie eine größere Anzahl von teilnehmenden Testpersonen einschließen. Angesichts der ‚therapeutischen Alternativlosigkeit‘ und der damit verbundenen großen Erwartung bisher nicht oder kaum therapierbare Erkrankungsformen auf diese Weise behandeln oder gar heilen zu können, ist hier der Anreiz meist sehr hoch, auch ggf. große Risiken in Kauf zu nehmen.
Genomeditierung somatischer Zellen jenseits der medizinischen Behandlung von Erkrankungen
Aus dem erweiterten Potential der Genomeditierungsverfahren entstehen weitere humanmedizinische Ansatzpunkte jenseits der Therapie bereits manifester Erkrankungen. Beispielsweise wird erforscht, inwiefern gezielte Veränderungen am Genom von Menschen die Empfänglichkeit für Viruserkrankungen herabsetzen können. Ebenso wird erforscht, inwiefern mithilfe von gezielten genetischen Veränderungen die Abwehrreaktion gegen eine Erkrankung wie etwa viral verursachte Erkrankungen verbessert werden kann.
Des Weiteren können Modifikationen von Körperzellen nicht nur zu ausschließlich therapeutischen, also insbesondere zur Therapie von Erkrankungen, eingesetzt werden, sondern auch zu Zwecken des Enhancement. Eine hierauf bezogene ethische Fragestellung ist, ob die Abwägung von Risiken und potenziellem Nutzen der neuartigen Technologien der Genomeditierung anders ausfällt, wenn nicht das Lindern oder Heilen schwerer Erkrankungen das Ziel des Einsatzes ist, sondern das Verbessern von Eigenschaften oder Fähigkeiten, die in keinem direkten Zusammenhang zu einer Erkrankung stehen.
Der potenzielle therapeutische Nutzen von Keimbahnveränderungen
Der zentrale therapeutische Fokus von Keimbahnveränderungen ist auf das Ziel gerichtet, die Weitergabe von schwerwiegenden, genetisch bedingten Erbkrankheiten zu verhindern. Im Zentrum der Studien stehen monogen veranlagte Erkrankungen und die Veränderung der für sie ursächlichen genetischen Sequenzen mittels Genomeditierung.
Hinsichtlich der Verhinderung der Weitergabe schwerer, monogen bedingter Erkrankungen an Nachkommen verfolgen die bereits etablierten Verfahren der Präimplantationsdiagnostik und die der Keimbahntherapie dieselben Ziele. Allerdings bietet die Keimbahntherapie in einigen Fällen Therapiemöglichkeiten, die eine PID bisher nicht eröffnen konnte. Denn im Gegensatz zur PID kann die Keimbahntherapie auch für solche Paare die Erzeugung eines Embryos ermöglichen, bei denen keine oder im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation (IVF) zu wenige Embryonen gewonnen werden können, die eine dieser Erkrankung zugrunde liegende genetische Veränderung nicht aufweisen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn beide Elternteile in ihrem Erbgut eine genetische Variante tragen, die nicht weitergegeben werden soll. Oder aber, wenn medizinische Gründe vorliegen, die eine im Rahmen einer Reproduktionsbehandlung erforderliche Erzeugung von mehreren Embryonen erschwert, wie etwa eine geringe Verfügbarkeit von Eizellen.
Hiermit verbunden ist die Beobachtung, dass bisherige gentherapeutische Eingriffe bei Personen mit schweren, genetisch bedingten Erkrankungen zum Teil nur bedingt wirksam sind und überdies mehrfach vorgenommen werden müssen. Unter der Annahme einer entsprechenden erfolgreichen Erforschung könnte die genetische Editierung von Keimzellen oder Embryonen für noch ungeborene Personen, die ebendiese Krankheiten ausbilden würden, als wirksamere und deutlich eingriffsärmere Therapie einen gewichtigen Nutzen darstellen.
Ein ähnliches therapeutisches Ziel einer möglichen Anwendung der Keimbahntherapie besteht in dem Versuch, die Weitergabe von monogen veranlagten Dispositionen für schwerwiegende Erkrankungen zu verhindern. Etwa das Verhindern der Weitergabe einer genetischen Sequenz, die im späteren Lebensverlauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu dem Entwickeln eines schweren Brustkrebses führt.
Schließlich besteht ein mögliches therapeutisches Ziel einer Keimbahnveränderung in der Erzeugung einer genetisch veranlagten Resilienz gegenüber Infektionserkrankungen. Große Bekanntheit und auch ablehnende Reaktionen erlangte in diesem Kontext der Versuch des chinesischen Forschers He Jiankui, der zwei Embryonen mit dem Ziel genetisch editierte, sie gegenüber einer Erkrankung an dem HI-Virus (und einer Ausprägung der Krankheit AIDS) resistent zu machen. Die Embryonen wurden in einer Schwangerschaft ausgetragen, woraufhin 2018 weibliche Zwillinge geboren wurden.
Übergreifende Abwägung von Risiken und therapeutischem Potential
Sollten klinischen Studien zur Genomeditierung an Menschen durchgeführt werden? Ein wichtiger Schritt bei der Beantwortung dieser Frage besteht in einer Abwägung von Risiken und potenziellem Nutzen eines Eingriffs. Angesichts der erhöhten Risiken im Fall einer Keimbahnintervention sowie eine weitestgehenden Unwissenheit ebenso in Bezug auf die Eintrittswahrscheinlichkeit von möglichen Schädigungen wie auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des potenziellen Nutzens fällt die Abwägung hier mehrheitlich negativ aus. Dies zeigt sich punktuell auch an der internationalen rechtlichen Regulierung. So verbietet beispielsweise in der Europäischen Union Art. 90 der Verordnung (EU) 536/2014 des Europäischen Parlaments und Rates die Veränderungen von Erbinformationen an Keimzellen im Rahmen klinischer Studien. Ergänzend sind im Anschluss an die Oviedo-Konvention innerhalb der Europäischen Union Veränderungen am menschlichen Genom untersagt, die auf Nachkommen übertragen werden können. Allerdings sind diese Abkommen wie auch andere internationale Abkommen wie z. B. die allgemeine Erklärung zu Bioethik und Menschenrechten der UNESCO (2005) oftmals nicht für alle Staaten rechtskräftig und überdies in ihrer Auslegung bzgl. der Keimbahnintervention nicht immer eindeutig. Infolgedessen besteht auf internationaler Ebene derzeit ein wesentlicher Versuch darin bis zur Einigung und Verabschiedung konsensfähiger internationaler Regulierungen zur Keimbahnintervention Mechanismen der Begleitung und Kontrolle einzusetzen, die eine ethisch nicht gerechtfertigte klinische Erprobung an Menschen verhindern.
Im Gegensatz dazu wird die genetische Editierung von somatischen Zellen in ausgewählten klinischen Studien und einigen Anwendungsbereichen als ethisch gerechtfertigt betrachtet und vorgenommen. Dies spiegelt sich erneut in der gesetzlichen Regulierung wider. Eine ausführliche Darstellung der allgemeinen rechtlichen Regulierung der somatischen Gentherapie auf internationaler wie deutscher Ebene, die auch die Regulierung der Genomeditierung zu ebendiesem Zwecke miterfasst, enthält der Blickpunkt somatische Gentherapie.
Ethische Prinzipien: Bewertung der Genomeditierung jenseits von Kosten-Nutzen-Abwägungen
Jenseits dieser stärker auf die Abwägung der Chancen und Risiken, d.h. der Folgen der Erforschung und Anwendung der Verfahren der Genomeditierung in der Humanmedizin ausgerichteten ethischen Perspektive lassen sich zur Beurteilung derselben ergänzend übergreifende ethische Prinzipien heranziehen, wie etwa die des Nichtschadens, des Wohltuns, der Autonomie und der Gerechtigkeit. Wie in den jeweiligen Einzelfällen daher eine konkrete mögliche Anwendung der Genomeditierung in der Humanmedizin bewertet wird, hängt damit auch von der jeweiligen Gewichtung von Prinzipien wie etwa dem des Wohltuns und seiner Reichweite ab. Diese Prinzipien ergänzen dabei die Abwägung von Chancen und Risiken, indem sie etwa bestimmten Abwägungen ethische Grenzen setzen – beispielsweise die gezielte Schlechterstellung Einzelner zugunsten des Wohlergehens anderer – oder aber bestimmte Chancen oder Risiken mit zusätzlichem Gewicht versehen. So könnte etwa die Aussicht auf therapeutische Heilung bisher nicht behandelbarer Erkrankungsformen im Sinne des Wohltuns ein besonders starkes Gewicht erhalten in der Abwägung mit Bedenken zu möglicherweise unerwünschten Nebenwirkungen. Der Deutsche Ethikrat hat in seiner Stellungnahme von 2019 im Kontext der Bewertung von Eingriffen in die menschliche Keimbahn angeregt, neben Chancen-Risiko-Abwägungen auch Menschenwürde, Lebens- und Integritätsschutz, Freiheit, Schädigungsvermeidung und Wohltätigkeit, Natürlichkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Verantwortung als zusätzliche Punkte ethischer Orientierung mit zu berücksichtigen.
Weiterführende Implikationen: Ethische Aspekte einer breitflächigen klinischen Anwendung
Die Frage der Gerechtigkeit bei der Nutzung und Finanzierung von Genomeditierungsverfahren
In Vorausschau auf eine mögliche Zulassung der Verfahren der Genomeditierung zur humanmedizinischen Anwendung betreffen ethische Erwägungen auch den Kreis derjenigen, die diese nutzen können sollen. Hierzu stellen sich Fragen zur inhaltlichen Begründung eines solchen möglichen Nutzungsanspruchs sowie nachgelagert Fragen der sozialen Gerechtigkeit.
Als Grundlage einer fairen Regulierung des Zugangs zu diesen Verfahren ist zunächst zu ergründen, inwiefern und wie weit mögliche Ansprüche auf die Nutzung dieser Verfahren begründet werden können. Allgemeine Kriterien im Kontext der Humanmedizin sind hierbei etwa Dringlichkeit, Schweregrad der Erkrankung, individueller Bedarf aufgrund fehlender Alternativen und die Erfolgsaussicht der Therapie. Speziell mit Blick auf die Keimbahntherapie werden zum Teil Interpretationen der reproduktiven Autonomie herangezogen, um einen möglichen Anspruch der Wunscheltern auf die Nutzung dieser Behandlungsmethode zu begründen. Insbesondere könnten möglicherweise diejenigen Personen einen Nutzungsanspruch reklamieren wollen, die sich ein biologisch mit ihnen verwandtes Kind wünschen, diesem ohne medizinische Intervention jedoch eine genetische Veranlagung für eine schwerwiegende Erkrankung vererben würden. Befürwortende eines solchen Anspruchs leiten diesen in der Regel aus dem Konzept der reproduktiven Autonomie ab, welches die Unterstützung auf dem Weg zu einem genetisch verwandten Kind ohne Erbkrankheit unter das übergreifende Gut der Persönlichkeitsentfaltung der Eltern fasst. Gegen eine solche Begründung eines Anspruchs auf Keimbahntherapie könnte jedoch unter anderem der Verweis auf die bereits etablierte, deshalb breiter erforschte und deutlich weniger kostenintensive Möglichkeit einer PID angeführt werden. Dabei stellt die PID zumindest in den Fällen, in denen eine monogene Krankheitsursache vorliegt, eine Alternative dar. Im Gegensatz zur Genomeditierung erfordert jedoch eine PID die Erzeugung und ggf. Zerstörung mehrerer Embryonen, was seinerseits ethisch kontrovers debattiert wird.
Weiterhin ist zum anderen für eine faire Regulierung des Zugangs zu diesen Verfahren zu prüfen, inwiefern einem etwaigen Anspruch auf Nutzung der Genomeditierung gesellschaftlich entsprochen werden kann. Eine Entscheidung hierüber müsste insbesondere die Frage ergründen, welcher Stellenwert der Finanzierung meist sehr kostenintensiver Genomeditierungsverfahren innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Planung der Gesundheitsversorgung zukommen sollte. Angesichts der aufgeführten Bedenken bereits zur Erforschung der Keimbahntherapie (potenzielle Irreversibilität der Eingriffe, mögliche unerwünschte Nebenwirkungen für Nachkommen) stehen hier Fragen der Finanzierung etwaiger Behandlungen eher im Hintergrund. Wie auch bei anderen, neuartigen Behandlungsverfahren wäre für die Verteilung der Kosten primär nach der Einschlägigkeit der Kriterien Dringlichkeit, Schweregrad der Erkrankung, individueller Bedarf aufgrund fehlender Alternativen und Erfolgsaussicht der Therapie vorzugehen.
Selbst wenn man gerade im Kontext des somatischen Einsatzes von Genomeditierungsverfahren, etwa zur Behandlung der Sichelzellenerkrankung, zu der bisher viele erfolgversprechende Studien veröffentlicht wurden, davon ausgeht, dass die Kriterien Dringlichkeit, Schweregrad der Erkrankung, individueller Bedarf aufgrund fehlender Alternativen und Erfolgsaussicht der Therapie erfüllt sind, müssen diese gegen die Kosten einer solchen Behandlung abgewogen werden. Grundlegende hierauf bezogene ethische Erwägungen betreffen dabei die Frage, wie die knappen finanziellen Mittel der Gesundheitsversorgung zwischen Bedürftigen verteilt werden sollten. Gesteht man einzelnen, nach den oben genannten Kriterien anspruchsberechtigten Personen die Erstattung der Kosten einer hochpreisigen Behandlung mit Editierungsverfahren zu, entfällt ggf. die Kostenübernahme für die Behandlung anderer Personen mit weniger schwerwiegenden Erkrankungen. Je nach Höhe der Behandlungskosten für diese nun nicht mehr refinanzierte Gruppe riskiert man hierbei jedoch eine Unterversorgung, da die Personen sich zum Teil angesichts der geforderten Kostenbeteiligung gegen eine Behandlung entscheiden werden.
Weitere grundlegende Erwägungen sind auf die Definition der Kosten gerichtet, also insbesondere die Reichweite der möglichen Kosten, die in eine Abwägung eingeschlossen werden. Sehr hohe Kosten für die Behandlung einzelner Personen mithilfe von Genomeditierungsverfahren müssten in einem ganzheitlichen Ansatz auch mit den Kosten des Unterlassens einer solchen Behandlung gegenübergestellt werden. Dabei wären neben den Kosten für die alternativen, ggf. weniger erfolgreichen Behandlungsmethoden auch Fahrt- und Pflegekosten bis hin zu Kosten für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu berücksichtigen, die entstehen, wenn eine Person aufgrund einer alternativen und weniger effektiven Behandlung etwa längerfristig nicht in der Lage ist, einer geregelten Arbeit nachzugehen.
Ergänzend besteht in den Gesellschaften eine unterschiedlich stark ausgeprägte Bereitschaft Behandlungskosten solidarisch zu übernehmen. So unterscheiden sich Gesellschaften etwa in der Gewichtung des Kriteriums des Alters von zu behandelnden Personen bei der Verteilung knapper finanzieller Mittel im Gesundheitswesen. Entscheidungen über Erstattungen von Behandlungskosten werden daher zwischen Gesellschaften variieren.
Der komplexen Gemengelage von zum Teil extremen Kosten einer Behandlung und der Intention, erkrankte Personen medizinisch behandeln zu wollen, wird mit unterschiedlichen Finanzierungsmodellen begegnet. Diese reichen von einer partiellen Kostenbeteiligung bis hin zu Erstattungsverfahren, die am individuellen Therapieergebnis festgemacht werden. Hierbei tritt erschwerend hinzu, dass auch die Möglichkeit einer Finanzierung zwischen unterschiedlichen Staaten je nach wirtschaftlicher Entwicklung variiert. Jenseits der Frage nach einer fairen Verteilung von Mitteln zur Gesundheitsversorgung innerhalb einer Gesellschaft treten dann ethische Fragen zur globalen Verteilung von Mitteln zur Gesundheitsversorgung hinzu.
Autonomie und Persönlichkeitsrechte von Personen, deren Genom editiert wurde
Bei der vorhergehenden Darstellung spezifischer Risiken einer Anwendung der Genomeditierung zur Veränderung der menschlichen Keimbahn wurde bereits auf das Auftreten möglicher unerwünschter Nebenwirkungen für die Nachkommen der Personen verwiesen, deren Genom im Embryonalstadium genetisch editiert wurde. Weiterhin wurde hervorgehoben, dass genetische Editionen ggf. irreversibel sind und die abschließende Sicherheit des Verfahrens erst im Anschluss an tatsächlich durchgeführte Versuche final bemessen werden kann. Abseits dieser stärker auf konkrete Risiken bezogenen ethischen Erwägungen entstehen aus der Perspektive auf die Schutzgüter der Autonomie und der Persönlichkeit ergänzende Aspekte, die in eine umfassende ethische Bewertung mit einfließen können.
Mit Blick auf das zentrale ethische Schutzgut der Autonomie ist etwa bezüglich der Embryonen, an denen eine genetische Editierung vorgenommen würde, zu fragen, inwiefern dieser Eingriff eine Förderung oder Einschränkung der Autonomie darstellt. Eine Editierung, die auf die Vermeidung einer schwerwiegenden Erbkrankheit gerichtet ist, könnte etwa die Autonomie der später daraus entstehenden Person befördern, indem sie ihr über den positiven Beitrag zur eigenen Gesundheit eine breite Auswahl von Handlungsmöglichkeiten offenhält. Als Einschränkung der Autonomie könnte unter anderem hingegen gewertet werden, dass die Person als Embryo durch den Eingriff unzulässig instrumentalisiert werden könnte. So könnte eine Instrumentalisierung möglicherweise daraus entstehen, dass die so zur Existenz gekommenen Personen nicht aktiv in die Risiken einwilligen konnten, die als ungewollte Nebenwirkung einer grundsätzlich willkommenen Editierung zur Vermeidung einer schweren Erkrankung einhergehen können.
Hinsichtlich der aus einem genetisch editierten Embryo herangewachsenen Menschen entsteht eine Herausforderung bezüglich der Wahrung der jeweiligen Persönlichkeitsrechte: Während möglicherweise die behandelten Individuen die an ihnen vorgenommene genetische Editierung nicht preisgeben möchten, besteht gleichzeitig zumindest für Forschende das große Interesse, die Entwicklung dieser Menschen durch entsprechende Studien begleiten zu können, um daraus Erkenntnisse über die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Therapie zu gewinnen.
Gesellschaftliche Auswirkungen
Schließlich ergeben sich aus ethischer Perspektive übergreifende Fragen hinsichtlich der möglichen Folgen einer Anwendung der Keimbahntherapie für einzelne Gesellschaften, aber auch für die Menschheit als Ganze. Aus einer breitflächig etablierten Anwendung der Keimbahntherapie hinsichtlich der Vererbung ausgewählter Krankheiten könnte etwa eine Diskriminierung derjenigen Menschen resultieren, die trotz dieser Möglichkeiten weiterhin entsprechende Krankheiten oder Beeinträchtigungen aufweisen. Oder spiegelbildlich eine Diskriminierung derjenigen Personen, deren Genom im Embryonalstadium genetisch editiert wurde.
Bei einer übergreifenden und über mehrere Generationen hinweg eingesetzten Keimbahntherapie ist die noch weiterführende Frage aufgeworfen worden, wie dieser Eingriff in den Genpool der Menschen insgesamt aus ethischer Perspektive zu bewerten ist. In diesem Diskurs werden dabei Überlegungen zur Natürlichkeit des menschlichen Genoms, zur genetischen Resilienz der menschlichen Spezies sowie zur Achtung der Menschen untereinander aufgegriffen.
Die Gefahr eines Dammbruchs?
Kritische Stimmen insbesondere zur Anwendung der Genomeditierung als Keimbahntherapie haben weiterhin auf die Gefahr verwiesen, dass selbst eine eng umgrenzte, klar regulierte Erforschung und Anwendung der Keimbahntherapie längerfristig die Durchführung von Fällen zur Folge haben könnte, die nach der ursprünglichen ethischen Bewertung nicht moralisch rechtfertigbar sind. Dieses sogenannte Dammbruch-Argument oder auch Argument der schiefen Ebene wird in einer Reihe anderer bioethischer Kontexte angeführt und diskutiert. Inwiefern ein solches Dammbruchargument stichhaltig ist, hängt unter anderem davon ab, wie klar die initiale Handlung – in diesem Fall die eng umgrenzte mögliche Zulassung der Keimbahntherapie – in einem notwendigen Zusammenhang zu der später erfolgten, ursprünglich als unzulässig bewerteten Handlung steht. Dabei muss auch diese moralisch zurückzuweisende Handlung präzise beschrieben werden können, sodass ein allgemeiner Verweis auf die Entwicklung eugenischer Tendenzen innerhalb einer Gesellschaft etwa nicht ausreicht.