Gentechnisch veränderte Lebensmittel

I. Einführung

Gentechnisch veränderte Lebensmittel (GVL) sind Nahrungs- oder Genussmittel, die als Ganzes oder in Teilen aus einem gentechnisch veränderten Organismus (GVO) bestehen. Unter gentechnisch veränderte Lebensmittel fallen auch solche, die aus dem Produkt eines GVO bestehen oder bei deren Produktion ein GVO zum Einsatz kommt. Der GVO kann ein Mikroorganismus, eine Pflanze oder ein Tier sein. 

Pflanzen und Tiere sind – insbesondere auch im Zusammenhang mit der Lebensmittelgewinnung – von jeher Gegenstand züchterischer Umformungen durch den Menschen. Im Unterschied zu den herkömmlichen Züchtungsmethoden (Auslese-, Kreuzungs-, Hybrid- und Mutationszüchtung) ermöglicht die neue, grüne Gentechnik jedoch die gezieltere Übertragung nicht nur ganzer Genome, sondern auch einzelner Gene, sogar über Artgrenzen hinweg. Sie soll so dazu beitragen, die Ziele der Ertragssteigerung, Ertragssicherung sowie der Verbesserung von Verarbeitungs- und Qualitätseigenschaften, die auch durch die herkömmlichen Züchtungsmethoden verfolgt werden, in größerem Umfang zu erreichen oder effizienter umzusetzen.

Der rechtliche Rahmen für die Herstellung und den Umgang mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln wird in Deutschland vorwiegend durch das Gentechnikgesetz (GenTG) bestimmt. Es setzt gemeinsam mit dem EG-Gentechnik-Durchführungsgesetz (EGGenTDurchfG) die Vorgaben der Gentechnikrichtlinien der Europäischen Gemeinschaft (EG) bzw. der EU (die Systemrichtlinie und die Freisetzungsrichtlinie) in nationales Recht um. Die Frage, inwieweit Organismen, die mithilfe moderner Techniken der Genomeditierung (wie z. B. CRISPR/Cas9) erzeugt wurden, als genetisch veränderte Organismen im Sinne der bestehenden EU-Richtlinien zur Gentechnik gelten, wird auch auf politischer Ebene derzeit EU-weit diskutiert.

Gentechnik und transgene Organismen

Unter Gentechnik versteht man im engeren und eigentlichen Sinne alle Techniken und in-vitro-Verfahren (Verfahren im Reagenzglas) der Isolierung, Veränderung, Vermehrung und Übertragung der Erbsubstanz DNS. Die Gentechnik macht es möglich, bestimmte DNS-Abschnitte aus Zellen zu isolieren, zu verändern und auf andere Zellen zu übertragen. Geschieht eine solche Übertragung genetischen Materials auf Zellen mit totipotenter Entwicklungsfähigkeit, also solche, die einen vielzelligen Organismus zu bilden vermögen, wie etwa pflanzliche Zellen oder frühe embryonale Säugetierzellen, oder auf Zellen, die später an der Bildung totipotenter Zellen beteiligt sind, wie etwa Keimbahnzellen oder Zellen, deren Zellkerne für die Klontechnik des Zellkerntransfers (Dolly-Methode) verwendet werden, so entwickelt sich aus diesen totipotenten Zellen ein gentechnisch veränderter oder transgener Organismus, der neben seinen artspezifischen Merkmalen auch diejenigen ausbildet, die durch das in sein Genom eingeschleuste fremde Erbgut codiert werden.

Einsatz in der Lebensmittelproduktion

Gentechnische Veränderungen werden in der Lebensmittelproduktion derzeit vor allem bei Pflanzen und Mikroorganismen vorgenommen, da sich diese Organismengruppen durch ihre ungeschlechtliche Vermehrbarkeit und leichte Kultur besonders dazu eignen, wohingegen die gentechnische Veränderung von Wirbeltieren sehr viel schwieriger zu erreichen ist. Durch den Einsatz der Klontechnik, des Zellkerntransfers und neuer Verfahren der Genomeditierung könnte sich dies in den nächsten Jahren jedoch ändern. Genomeditierende Verfahren erlauben es, zielgenau einzelne Sequenzen eines Genoms zu verändern, z. B. eine DNS-Sequenz „umzuschreiben”, zu ergänzen, zu deaktivieren oder gänzlich herauszuschneiden. Da genomeditierende Verfahren grundsätzlich bei allen Organismen anwendbar sind, können auf diese Weise auch pflanzliche oder tierische Organismen verändert werden.

Im Zusammenhang mit der Lebensmittelproduktion werden gentechnische Verfahren mit unterschiedlichen Zielsetzungen verwendet, welche man mithilfe der Begriffe „Input Traits” und „Output Traits” voneinander abgrenzen kann:

Veränderung von Input Traits

Unter Input Traits versteht man diejenigen Merkmale einer Pflanze, die deren Anbaubedingungen betreffen. Durch den Einsatz von Gentechnik wird versucht, Input Traits so zu verändern, dass sich die landwirtschaftliche oder biotechnologische Herstellung bestimmter Nahrungs- und Futtermittel oder auch bestimmter Zusatzstoffe effizienter gestalten oder in einer bestimmten Qualität oder Quantität überhaupt erst ermöglichen lässt. Hierbei wird vorwiegend auf Toleranz- und Resistenz-Merkmale Einfluss genommen. So wurden eine Reihe von Nutzpflanzen, beispielsweise Maispflanzen (z. B. MON810 und MON863) und Kartoffelpflanzen, mit bakteriellen Resistenzgenen gegen bestimmte Schädlinge ausgestattet, während andere Pflanzenarten wie Sojabohne und Raps mit Genen versehen wurden, die eine Toleranz gegen bestimmte Herbizide bewirken. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten glyphosat-resistenten Roundup-Ready-Kulturen des Agrarkonzerns Monsanto, der gleichzeitig führender Hersteller glyphosat-haltiger Herbizide ist.

Veränderung von Output Traits

Output Traits bezeichnen im Gegensatz zu Input Traits Merkmale, die die Nutzung einer Pflanze betreffen. Durch gentechnische Eingriffe kann die Beschaffenheit einzelner Naturprodukte bezüglich ihrer Verarbeitbarkeit, ihrer Inhaltsstoffe oder ihrer Verträglichkeit für den Menschen verändert werden. Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte goldene Reis, der gegenüber konventionellen Reissorten einen höheren Gehalt an Eisen und Provitamin A enthält oder auch die Kartoffelsorte Amflora, bei der die Stärkeproduktion verbessert wurde.

Ein weiteres Anwendungsfeld der Gentechnik in der Lebensmittelproduktion stellen genetische Testverfahren dar, die im Rahmen konventioneller Zuchtmethoden zu diagnostischen Zwecken sowie zur Überwachung und Qualitätskontrolle von Lebensmitteln eingesetzt werden können.

Bei der gentechnischen Veränderung ist zu unterscheiden, ob artfremde Gene zum Einsatz kommen oder nicht. Ist dies der Fall, dann bezeichnet man die Resultate als „transgene” Pflanzen, Tiere etc. Kommen bei der Veränderung hingegen nur arteigene Gene zum Einsatz, so spricht man von „cisgenen” Organismen. Ihre Herstellung wird ermöglicht durch das so genannte SMART Breeding. Zwar kommen auch hierbei Labortechniken zum Einsatz, durch die Beschränkung auf arteigene Gene ähnelt das Verfahren aber eher klassischen Züchtungsverfahren. 

Ergänzend zu den Verfahren des SMART Breeding werden Veränderungen von Organismen über die seit kurzem vielfach angewandte CRISPR/Cas9-Technik vorgenommen. Mithilfe der als „Genom-Schere” bezeichneten Technik können DNS-Sequenzen in Zellen unter Einsatz eines Enzyms sehr kostengünstig und präzise inaktiviert, herausgeschnitten oder ergänzt werden. Sie eröffnet z. B. die Möglichkeit, das Auslesen bestehender DNS-Sequenzen in einem zu verändernden Organismus zu steuern, wodurch einzelne Sequenzen einer DNS "inaktiviert" werden können. Bei einer Anwendung auf totipotente Zellen, auf Vorläuferzellen von totipotenten Zellen oder aber auf Zellen, deren Kern im Rahmen der Klonierungstechnik transferiert wird, kann – analog zur Herstellung transgener Organismen – das Ausbilden der darin codierten Eigenschaften etc. in dem Empfangendenorganismus unterbunden werden. Ob diejenigen Organismen, die ohne das Einführen fremder oder arteigener Gene und mithilfe neuer Editierungstechniken verändert wurden, unter die Gruppe der GVO gefasst werden sollten, ist zurzeit der Gegenstand von Diskussionen. (Vgl. auch Teil II. Ethische Aspekte.)

In der Diskussion um die Verwendung von GVO werden zuweilen auch Bedenken bezüglich geklonter Nutztiere und deren Gebrauch geäußert. Hierzu ist anzumerken, dass reproduktiv geklonte Organismen weder Veränderungen in ihrem Erbgut aufweisen noch dieses zuvor in-vitro manipuliert wurde, sodass solcherlei Klone nicht als GVO gekennzeichnet zu werden brauchen und somit nicht in den weiteren Themenbereich fallen.

II. Ethische Aspekte

Ein häufig vorgebrachter Einwand gegen den Einsatz gentechnischer Verfahren bei der Herstellung von Lebensmitteln betrifft die „Natürlichkeit” der Lebensmittel. Die „Natürlichkeit” der Evolution oder der genetischen Ausstattung von Organismen wird dabei als ein „absolutes Schutzgut” gesehen, in das der Mensch unter keinen Umständen eingreifen darf. Zur Begründung wird zumeist auf die „Würde” oder ein „Eigenrecht” der Natur oder – in religiöser Perspektive – auf die Natur als „Schöpfung Gottes” verwiesen. Oftmals wird das „Natürliche” aber auch einfach nur als das gesehen, was sich bewährt hat und daher nicht riskiert werden darf.

Dem wird entgegengehalten, dass Natürlichkeit an sich noch keine Verbindlichkeit begründet. Auch greife der Mensch nicht nur immer schon umformend in die Natur ein, sondern sei auch auf umformende Eingriffe in die Natur angewiesen, um überhaupt überleben zu können. Sie kategorisch und ohne allen Unterschied abzulehnen, widerspreche daher nicht nur der weitgehenden Akzeptanz bestimmter Kultur- und Technikformen, sondern gefährde darüber hinaus auch die Existenzbedingungen des Menschen.

Zudem wird erwidert, dass mit der Vorstellung der Natur als Schöpfung Gottes und des Menschen als Ebenbild Gottes innerhalb der Schöpfung dem Menschen in seinem Handeln gegenüber der Natur zwar Grenzen gesetzt seien, dies aber nicht bedeute, dass Eingriffe in die Natur unbedingt abzulehnen seien. Dies sei nur dann der Fall, wenn man von einem primär konservativen Verständnis der Aufgabe des Menschen als eines bloßen Verwalters der Schöpfung ausgehe. Fasse man den dem Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit gegebenen Auftrag jedoch nicht nur als Bewahrungs-, sondern auch als Gestaltungsauftrag, könnten umformende Eingriffe in die Natur nicht nur zulässig, sondern unter Umständen sogar ethisch geboten sein.

Beurteilungskriterien

Auch wenn Eingriffe in die Natur nicht unbedingt verboten sind, sind sie deshalb nicht schon unbedingt erlaubt. Gilt es, die gentechnische Herstellung von Lebensmitteln differenziert zu beurteilen, ist nach den für eine solche Beurteilung maßgeblichen Kriterien zu fragen. Diese sind einerseits hinsichtlich der gegenüber dem Menschen selbst bestehenden Schutzpflichten zu bestimmen, der die gentechnisch veränderten Lebensmittel konsumiert und produziert, andererseits hinsichtlich etwaiger Schutzpflichten gegenüber dem nichtmenschlichen Leben, das zum Zweck der Lebensmittelherstellung gentechnisch verändert wird.

Kriterien aufgrund der Schutzpflichten gegenüber dem Menschen

Geht man von den im Prinzip der Menschenwürde formulierten Schutzansprüchen des Menschen aus, sind als zentrale Beurteilungskriterien für die gentechnische Herstellung von Lebensmitteln vor allem ihre Autonomie- und Gesundheitsverträglichkeit, ihre Umweltverträglichkeit sowie ihre wirtschaftliche und gesellschaftliche Verträglichkeit anzusetzen. Dabei gilt es jeweils, orientiert am Einzelfall, neben einer möglichen Unverträglichkeit, d. h. den möglichen Risiken, zugleich auch eine mögliche Förderlichkeit, d. h. die möglichen Chancen, zu beachten.

Chancen und Risiken

Gesundheit

Durch den Einsatz gentechnischer Verfahren könnte, so die Hoffnungen, der Nähr- oder Gesundheitswert von Lebensmitteln verbessert werden. Verschiedentlich wird von einer gentechnisch ermöglichten Ertragssteigerung von Nutzpflanzen oder ihrer gentechnisch ermöglichten Eignung auch für ungünstige Standorte sogar ein Beitrag zur Verbesserung der globalen Ernährungs- und Gesundheitssituation erwartet. Andererseits werden die Befürchtungen vorgebracht, dass der Verzehr gentechnisch veränderter Lebensmittel Allergien, möglicherweise sogar Vergiftungen zur Folge haben könnte.

Enthalten die Lebensmittel Antibiotika-Resistenz-Gene als „Markergene”, wie beispielsweise die Kartoffelsorte Amflora, könnte ihr Verzehr, so eine weitere häufig formulierte Befürchtung, ungewollte Antibiotikaresistenzen beim Menschen verursachen. Auch das Beispiel der Maissorte MON863 zeigt, dass es in Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Pflanzen immer wieder zu Kontroversen über mögliche problematische Gesundheitsfolgen kommt. Umstritten sind dabei häufig auch die wissenschaftlichen Standards, die Zulassungsstudien zugrunde gelegt werden sollten.

Umwelt
Von einer gentechnischen Herstellung herbizid- oder insektenresistenter Nutzpflanzen wird eine Verringerung der Umweltbelastungen durch Pflanzenschutzmittel erhofft, sei es, dass weniger Pflanzenschutzmittel erforderlich sind oder dass auf umweltschonendere Pflanzenschutzmittel zurückgegriffen werden kann. Zudem ermögliche der Einsatz gentechnischer Verfahren eine energiesparendere und abfallärmere und damit umweltschonendere Lebensmittelherstellung. Auf der anderen Seite wird vor allem auf die Möglichkeit einer ungewollten Ausbreitung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen und einer Genübertragung auf artverwandte („vertikaler Gentransfer”), aber auch auf artfremde Organismen wie etwa auf Bodenbakterien („horizontaler Gentransfer”) hingewiesen – mit möglicherweise gravierenden Störungen des ökologischen Gleichgewichts. So wird befürchtet, dass „Naturprodukte”, wie beispielsweise Honig, durch Pollen gentechnisch veränderter Pflanzen verunreinigt werden könnten. Kritische Stimmen gehen zudem davon aus, dass einmal angepflanzte gentechnisch veränderte Sorten kaum mehr ganz zum Verschwinden gebracht werden können; hier wird häufig auf eine von schwedischen und dänischen Forschenden durchgeführte Studie zu gentechnisch verändertem Raps verwiesen.

Wirtschaft und Gesellschaft
Befürwortende Stimmen verweisen darauf, dass mit Hilfe der Gentechnik Lebensmittel effizienter und eventuell kostengünstiger hergestellt werden könnten. So könnten die Kosten für die Verbrauchenden gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gesteigert werden. Demgegenüber wird die Sorge formuliert, dass auch Monopolisierungstendenzen und regionale und globale Verdrängungswettbewerbe verstärkt würden, die zu Lasten kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe gingen und die Abhängigkeit der so genannten Länder des globalen Südens weiter erhöhten. Eine Schlüsselrolle wird hier nicht zuletzt auch der Frage der Patentierung eingeräumt.

Schutzpflichten gegenüber nicht-menschlichem Leben?

Ob moralische Schutzpflichten auch gegenüber nicht-menschlichem Leben bestehen, und wenn ja, welche Grenzen damit der menschlichen Verfügungsgewalt gesetzt sind, wird kontrovers diskutiert. Wenngleich sich diese Frage grundsätzlich auch im Hinblick auf Mikroorganismen und Pflanzen stellt, geht es dabei in der öffentlichen Diskussion vor allem um das tierische Leben. Die im Bereich der Naturethik vertretenen Positionen lassen sich zwei Ansätzen zuordnen:

Der moralische Anthropozentrismus (griech. anthropos: Mensch) spricht lediglich dem Menschen einen intrinsischen Wert zu, nur er ist um seiner selbst willen zu schützen. Dies wird in Anlehnung an die Kantische Tradition oft durch das Argument begründet, dass dem Menschen durch seine Vernunftfähigkeit im Vergleich zum Tiere eine Sonderstellung eingeräumt wird, an die dann wiederum seine Eigenwerthaftigkeit geknüpft ist. Der Natur mitsamt ihren Elementen kommt dahingegen kein Eigenwert, sondern ein nur instrumenteller Wert zu; sie ist nur insofern von Wert und zu schützen, als dass sie für den Menschen wertvoll ist. Im Kontext dieser naturethischen Position existieren verschiedene Schattierungen und Begründungsansätze, die je verschiedene Nutzenmöglichkeiten der Natur unterstreichen – so wird etwa die Notwendigkeit der Naturnutzung als menschlichen Lebensgrundlage, der Beitrag der Natur zu einem guten menschlichen Leben oder der pädagogische Wert der Natur betont. 

Zweitens stehen dem moralischen Anthropozentrismus physiozentrische Ansätze (gr. physis: Natur) gegenüber, die nicht nur dem Menschen, sondern auch verschiedenen Entitäten bzw. je nach Spielart auch Sphären der Natur einen Eigenwert zuschreiben. Zwei der größten Strömungen innerhalb des Physiozentrismus sind der Pathozentrismus sowie der teleologische Physiozentrismus. 

Der Pathozentrismus (griech. pathos: Leid), zuweilen auch als Sentientismus (lat. sentire: empfinden, fühlen) bezeichnet, knüpft die intrinsische Werthaftigkeit eines Lebewesens an dessen Empfindungsvermögen, konkreter Schmerz- oder Leidensfähigkeit. Diese lässt sich beispielsweise an physiologischen Aspekten wie Zittern, Schreien und Stöhnen oder auch an Fluchtbestrebungen erkennen. Gemäß dieser Position verfügen alle empfindungsfähigen Wesen über einen Eigenwert und sind demnach um ihrer selbst willen schützenswert. Mit diesem Ansatz wird auch der Begriff des Interesses verbunden – in einem weitgefassten terminologischen Sinne haben empfindungsfähige Lebewesen ein Interesse an ihnen zuträglichen Dingen bzw. an Leidvermeidung. Somit kann auch Interessenfähigkeit als Indikator für moralische Signifikanz im Sinne der Eigenwerthaftigkeit und für daraus resultierende Schutzpflichten dienen.

Der teleologische Physiozentrismus (griech. telos: Zweck, Ziel) schreibt grundlegender allen Entitäten, die über Grundstrebungen und Zwecktätigkeiten verfügen, einen moralischen Eigenwert zu, an den dann wiederum Schutzpflichten geknüpft sind. Die intrinsische Werthaftigkeit ist hier an die zweckmäßige Verfasstheit und die innere Zielgerichtetheit von Entitäten gebunden, welche sich je nach Definition und Geltungsbereich des Zweckbegriffs in einem weitgefassten Sinne etwa grundsätzlich im Lebenserhaltungs- oder Reproduktionstrieb von Lebewesen erkennen ließe. Je nach Argumentationslinie und dem darin vertretenen Zweckbegriff kommt in einem weiten Sinne der Natur an sich in ihrer Ganzheit ein Eigenwert zu, in einem engen Sinne einzelnen Organismen der Natur.

Diese physiozentrisch begründbaren Schutzpflichten sind dann im Einzelnen an der artspezifischen Ausprägung und Entwicklung dieser Grundstrebungen zu bemessen. Eine Verfügung über nicht-menschliches Leben – etwa durch gentechnische Veränderung – ist damit zwar nicht generell unzulässig, jedoch an eine fallorientierte Rechtfertigung gebunden. Bei dieser muss dreierlei berücksichtigt werden:

  1. die Ausprägung und Entwicklung der artspezifischen Grundstrebungen des von der Verfügung betroffenen Lebewesens,
  2. die Verträglichkeit der infrage stehenden Verfügung mit eben diesen Grundstrebungen und
  3. die mit der Verfügung verfolgten Ziele.

Dabei gilt es auch hier, neben einer möglichen Unverträglichkeit, d. h. den Risiken, eine mögliche Förderlichkeit, d. h. die Chancen, zu beachten: So könnte etwa durch einen Gentransfer die Krankheitsanfälligkeit von Tieren gesenkt werden – im Interesse der Ertragssicherung, unter Umständen aber auch im Interesse der Tiere selbst.

Abwägung von Chancen und Risiken

Risikoanalyse

Chancen und Risiken sind im Rahmen einer vergleichenden interdisziplinären Sicherheits- oder Risikoforschung abzuschätzen, in der die möglichen erwünschten wie die unerwünschten Folgen einer konkreten Anwendung nach den verbindlichen wissenschaftlichen Standards ermittelt werden. Eine Risikoanalyse umfasst neben der Abschätzung der Risiken auch eine Risikobewertung. Die Abschätzung und Bewertung von Folgen und Risiken von Handlungen und Technikanwendungen basiert auf dem aktuellen Wissensstand. Die Herausforderung der Risikoabschätzung besteht in der Definition und anschließenden Bemessung von Risiken.  Häufig sind die zur Verfügung stehenden Informationen jedoch unvollständig oder mehrdeutig. Gründe hierfür sind u. a. die Komplexität der Beziehungen zwischen Ursachen und Wirkungen und die schwer kalkulierbaren Langzeitfolgen von neuen und noch kaum erforschten Technikanwendungen. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass die Abschätzung und Bewertung von Schadensrisiken für Mensch und Natur mit signifikanten Unsicherheiten behaftet sind. Da bereits die Einteilung von bestimmten zu erwartenden Folgen der gentechnischen Veränderung von Lebensmitteln als Risiken eine Wertung enthält, entstehen auf dieser Ebene erste inhaltliche Auseinandersetzungen.

Das Vorsorgeprinzip

Bei einer Risikobewertung ist eine zentrale Frage, auf der Grundlage welcher Prinzipien oder anhand welcher Werte eine Risiko-Nutzen-Abwägung der gentechnischen Veränderung von Lebensmitteln erfolgen sollte. Das Vorsorgeprinzip, als ein möglicher Ansatz zum Umgang mit Risiken, setzt sich aus dem Prinzip der Ressourcenvorsorge und dem der Risikovorsorge zusammen. Bei der Ressourcenvorsorge handelt es sich um die Forderung des langfristigen Erhalts von – und des nachhaltigen Umgangs mit – Umweltressourcen. Bei der Risikovorsorge geht es um die Forderung der Bewältigung und Prävention von Risikosituationen, die sich durch Unwissen, fehlende Evidenz und wissenschaftliche Unsicherheit bezüglich möglicher Folgen eines Produkts, Phänomens oder Verfahrens auszeichnen. Diese Folgen stehen in Zusammenhang mit (noch) nicht absehbaren globalen und möglicherweise irreversiblen Umweltveränderungen und -schädigungen. Das Vorsorgeprinzip soll Belastungen der Umwelt im Vorhinein vermeiden und steht somit konträr zu einer erst nachträglichen Schadensbegrenzung.

Befürwortende eines (eng gefassten) Vorsorgeprinzips halten bereits die Unwissenheit über mögliche Risiken einer Technik für ausreichend, um ihre Zulassung zu verbieten oder zumindest einzuschränken. Anstatt auf das Eintreten eines Problems oder den Beweis für ein Risiko zu warten, sollten bei begründeter Besorgnis Innovationen zurückgestellt werden. Die sogenannte trial-and-error-Strategie sei nicht mehr zeitgemäß, gerade wenn die Entwicklung des Vorsorgeprinzips als Reaktion auf bereits eingetretene Schäden und Katastrophen verstanden wird. Allerdings entsteht am Anfang der Entwicklung von neuen Techniken oftmals Unsicherheit über mögliche Folgen, sodass sich das Vorsorgeprinzip unter Umständen als zu restriktiv erweisen kann. 

Kritische Stimmen befürchten, dass durch ein striktes Vorsorgeprinzip Innovation und Wettbewerbsfähigkeit blockiert werde. Es sei entwicklungshemmend, da es die Gefahr von Nichthandeln außer Acht ließe. Stattdessen wird eine Verhältnismäßigkeit zwischen einem behutsamen, aber aktiven Umgang mit neuen Technologien auf der einen und Vorsorgemaßnahmen auf der anderen Seite gefordert. Der technische Fortschritt biete nicht nur wirtschaftliches Wachstum, sondern auch die Chance, zentralen gesellschaftlichen und globalen Herausforderungen wie der Klimakrise, Ressourcenknappheit und der Problematik des Welthungers entgegenzuwirken. Kritisierende fordern deshalb ein, das Vorsorgeprinzip ergänzendes, Innovationsprinzip. Das Innovationsprinzip besagt, dass bei der Erstellung von Gesetzen oder Vorschriften zu prüfen ist, ob sich diese negativ auf die Innovationsfähigkeit auswirken. So soll bei der Folgenabschätzung von Technikanwendungen der Fokus nicht lediglich auf die Risiken einer Anwendung gelegt, sondern ebenso geprüft und abgewogen werden, welche möglichen Chancen diese Anwendung bereithält, die bei Nichtanwendung verloren gehen könnten.

Eingesetzte Mittel und verfolgte Ziele

Bei der ethischen Abwägung der Chancen und Risiken, die hinsichtlich von Schutzpflichten gegenüber menschlichem und nicht-menschlichem Leben zu beachten sind, ist entsprechend grundsätzlich zu bedenken, dass nicht nur die Möglichkeit zur Herstellung und Nutzung gentechnisch veränderter Lebensmittel angesichts der eventuellen Risiken rechtfertigungsbedürftig ist. Auch die Entscheidung, auf solche Lebensmittel zu verzichten, bedarf der Rechtfertigung im Hinblick auf die dann unrealisiert bleibenden Chancen ihrer Herstellung und Nutzung.

Die jeweils verfolgten Ziele können von verschiedenem Rang oder verschiedener Dringlichkeit sein, und die eingesetzten Mittel können hinsichtlich der mit ihnen verbundenen Risikopotentiale variieren. Je riskanter ein Mittel ist, desto hochrangiger müssen die durch seinen Einsatz erreichbaren Ziele sein, soll das Mittel gerechtfertigt werden können. So mag etwa der Einsatz eines gentechnischen Verfahrens in der Lebensmittelherstellung unter Umständen eher gerechtfertigt (oder vielleicht sogar geboten) sein, wenn es um die Verbesserung der Ernährungssituation in Ländern des globalen Südens geht, als wenn es (lediglich) darum geht, einem Lebensmittel eine attraktivere Gestalt anzuzüchten, um so den Gewinn zu optimieren.

Es gilt aber auch, dass Dritten in einigen Fällen auch dann nicht zugemutet werden kann, ohne ihre Einstimmung einem sehr großen Risiko ausgesetzt zu werden, wenn dieses aus höchstrangigen Zielen eingegangen werden soll – insbesondere dann, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit der Risiken aus einer möglichst objektiven Perspektive heraus nicht als sehr gering einzustufen ist. Der Einsatz gentechnischer Verfahren bei der Lebensmittelherstellung zur Verbesserung der globalen Ernährungssituation könnte beispielsweise dann nicht gerechtfertigt werden, wenn mit einem großflächigen Anbau der Pflanzen ein mittleres Risiko für einen lokalen Biodiversitätskollaps verbunden wäre. Zur Klassifizierung solcher Risikoszenarien wird mit s.g. Schwellwerten gearbeitet, die das Verhältnis von erwartbarer Schadenshöhe und Wahrscheinlichkeit beschreiben und nicht überschritten werden sollten.

In der Abwägung eines Mittels ist seine Eignung zur Erreichung der angestrebten Ziele zu prüfen. Darüber hinaus ist ebenso nach möglichen Sicherheitsvorkehrungen, welche potentielle Risiken reduzieren könnten, sowie nach möglichen alternativen Mitteln zu fragen. So wird z. B. verschiedentlich die Frage formuliert, ob im Hinblick auf das wünschenswerte Ziel, die Welternährungssituation zu verbessern, statt einer gentechnisch ermöglichten Steigerung des Lebensmittelertrags nicht eine Änderung politischer, sozialer und infrastruktureller Rahmenbedingungen erfolgversprechender wäre.

Zitiervorschlag

Deutsches Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften (2024): Im Blickpunkt: Gentechnisch veränderte Lebensmittel. URL https://www.drze.de/de/forschung-publikationen/im-blickpunkt/gmf/gvl [Zugriffsdatum]

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