Debatte über die Widerspruchslösung

Ausgangsproblem der Debatte um die sogenannte Widerspruchslösung ist der Mangel an Spenderorganen. Im Jahr 2019 gab es lediglich 932 organspendende Personen, ca. 3.800 transplantierten Organen standen ca. 9.000 Personen auf der Warteliste gegenüber. Um die Zahl der Organspendenden zu erhöhen, brachten Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach (SPD) im Juli 2019 einen Gesetzesentwurf in den Bundestag ein (der letztendlich abgelehnt wurde), demzufolge “jede Person als Organ- oder Gewebespender [gilt], es sei denn, es liegt ein erklärter Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille vor.” Dies ist im Kern die Widerspruchslösung. Von einer erweiterten bzw. doppelten Widerspruchslösung (analog zur erweiterten bzw. doppelten Zustimmungslösung) wird gesprochen, wenn den Angehörigen zusätzlich ein Widerspruchsrecht eingeräumt wird.

Die Erhöhung der Zahl der Organspenden ist das Hauptargument der Befürwortenden der Widerspruchslösung. Darüber hinaus wird angeführt, dass laut einer repräsentativen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Jahr 2018 zwar 84% der Befragten die Organspende positiv sähen, aber lediglich 36% einen Organspendeausweis besäßen. Die geltende Entscheidungslösung verstärke daher das Missverhältnis zwischen prinzipiell gewillten und tatsächlichen Organspendenden. Schließlich weisen Befürwortende häufig darauf hin, dass die Widerspruchslösung eine psychische Entlastung der Angehörigen darstelle, da diese sich nicht mit der Frage nach einer Organspende auseinandersetzen müssten falls sie den Willen der verstorbenen Person nicht kennen.

Der Haupteinwand der kritischen Stimmen besagt, dass die Widerspruchslösung unzulässigerweise eine Nicht-Erklärung bzw. das Unterlassen eines Widerspruchs als Zustimmung werte. Die Widerspruchslösung verstoße daher gegen einen Grundpfeiler der Medizinethik, nämlich der informierten Einwilligung jeder Person in ärztlicher Behandlung, die stets auf einer bewussten und freien Entscheidung beruhen müsse. Darüber hinaus argumentieren Personen, die die Widerspruchslösung kritisieren, dass sie einen unzulässigen Eingriff in diverse Grundrechte darstelle, u.a. die Menschenwürde, das Persönlichkeits- bzw. Selbstbestimmungsrecht, sowie die Weltanschauungs- und Religionsfreiheit. Schließlich weisen Kritiker*innen der Widerspruchslösung darauf hin, dass diese nicht zwingend die Zahl der Organspendenden erhöhe, da Organspende auch von vielen anderen Faktoren abhänge.

Übersichtsartikel Pro & Contra Widerspruchslösung "Der Tagesspiegel" Online Version

Eine eingehende Auseinandersetzung mit der Widerspruchslösung bieten folgende Zeitschriftenartikel, die sich jeweils für (Rosenau/Knorre) und gegen (Schockenhoff) die Widerspruchslösung aussprechen:

Rosenau, H. / Knorre, J. (2019): Die rechtliche Zulässigkeit der erweiterten (doppelten) Widerspruchslösung in der Organtransplantation. In: Zeitschrift für medizinische Ethik 65, 45–60. doi: 10.14623/zfme.2019.1.45-60.  Online Version

Schockenhoff, E. (2019): Paradigmenwechsel zur Widerspruchsregelung? In: Zeitschrift für medizinische Ethik 65, 19–33. doi: 10.14623/zfme.2019.1.19-33.  Online Version

 

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