Forderung nach Stärkung einer Suizidpräventionsstrategie
Im Kontext der Debatte um die Zulässigkeit und rechtliche Regelung von Sterbehilfe wird von verschiedenen Seiten häufig die Forderung nach einer parallelen, teils sogar vorrangigen Stärkung der Strukturen der Suizidpräventionsstrategie laut. Auch die hier vorgestellte Position des deutschen Ethikrates spricht sich für eine Stärkung der Suizidprävention aus.
Stärkung und Vorrangigkeit der Suizidprävention
In der Debatte um die rechtliche Regelung des assistierten Suizids wird von Seiten der Ärzt*innenschaft die Bedeutung und Vorrangigkeit eines umfassenden Ausbaus der Suizidprävention hervorgehoben. Der Deutsche Bundestag hatte 2023 mit Mehrheit in einem fraktionsübergreifend gefassten Beschluss gefordert, bestehende Strukturen und Angebote der Suizidprävention finanziell zu unterstützen. Zudem soll bis Mitte 2024 eine umfassende Strategie für einen nachhaltigen Ausbau der Suizidprävention in Deutschland entwickelt werden. Auch für die Suizidprävention sei eine rechtliche Regelung der Sterbehilfe von Wichtigkeit. So sagt Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer: „Eine solche Regelung ist notwendig, um den aktuellen, ungeordneten Zustand zu beenden. Ein Gesetz zur Suizidhilfe muss jedoch mit einer vorangehenden Stärkung der Suizidprävention verbunden werden. Nur so werden wir dem Selbstbestimmungsrecht und dem Schutzinteresse der Betroffenen gleichermaßen gerecht.“
Im Zuge der Debatte um die Neuregelung veröffentlichte 2022 die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin und der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband e.V. „Eckpunkte für eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention“. Betont wird, dass neben der Regulierung der Unterstützung zum Suizid die Aufgabe des Gesetzgebers darin liegt „vor allem ein Schutzkonzept für Menschen mit Suizidgedanken zu entwickeln und für die Umsetzung des Konzepts zu sorgen.“ Unterstützende Hilfe für Menschen in Krisen und Angebote von Hospizarbeit und Palliativversorgung sollten leichter zugänglich sein als die Hilfe zur Selbsttötung. Diese Vorrangigkeit der Prävention sei dabei unabhängig von Alter und Erkrankung.
Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V., Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention, Nationales Suizidpräventionsprogramm (2022): Eckpunkte für eine gesetzliche Verankerung der Suizidprävention (01.06.2022). Online Version
Antrag 20/7630: Suizidprävention stärken (05.07.2023). Online Version
Bundesärztekammer (2024): Pressemitteilung vom 17.01.2024: 2024 darf kein verlorenes Jahr für die Suizidprävention in Deutschland werden. Online Version
Veröffentlichung einer Suizidpräventionsstrategie durch das BMG im April 2024
Im April 2024 ist die geforderte, umfassende Strategie für einen nachhaltigen Ausbau der Suizidprävention in Deutschland vom Bundesministerium für Gesundheit veröffentlicht worden.
Die Suizidpräventionsstrategie zielt darauf ab, die gesellschaftliche Tabuisierung der Themen um Tod und Einsamkeit zu überwinden, das gesellschaftliche Bewusstsein für Suizid und dessen Vermeidbarkeit zu sensibilisieren sowie psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren.
Dafür legt der Bericht u.a. folgende Maßnahmen und Empfehlungen in Form von drei Handlungsfeldern vor: Gesundheitskompetenz und Empowerment bilden das erste Handlungsfeld, welches den Zugang zu Informations- und Hilfsangeboten für Betroffene, Angehörige und Fachkräfte niedrigschwelliger und umfassender gestalten soll. Zudem sollen Bildungsangebote für Fachkräfte im Gesundheitswesen und in der Pflege zur Sensibilisierung und zum Umgang mit Suizidalität entwickelt werden. Die Etablierung eines bundesweiten psychosozialen Krisendienstes sowie der Ausbau, die Weiterentwicklung und Vernetzung der bestehenden Telefon- und Online-Beratungsangebote bilden das zweite Handlungsfeld. Das dritte Handlungsfeld sieht die Einrichtung einer nationalen Kompetenz- und Koordinierungsstelle vor, für eine Vernetzung der zahlreichen staatlichen und nicht-staatlichen Akteur*innen u.a. aus Krisendiensten und Gesundheit, sowie für die Gewährleistung einer wissenschaftlichen Fundierung der Suizidprävention.
Bundesministerium für Gesundheit (2024): Nationale Suizidpräventionsstrategie. Online Version
Position des deutschen Ethikrats
Der deutsche Ethikrat veröffentlichte bereits mehrfach, insbesondere 2014 und 2017, Ad-hoc-Empfehlungen zur Frage der Suizidassistenz. Anlässlich des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 veröffentlichte der deutsche Ethikrat 2022 eine umfassende Stellungnahme zum Thema Suizid, die eine Zielsetzung in dreifacher Hinsicht verfolgt: Erstens soll „ein angemessenes Bewusstsein für die Weite und Vielschichtigkeit der Suizidalität“ geschaffen werden, zweitens sollen die inneren und äußeren Voraussetzungen freiverantwortlicher Suizidentscheidungen bestimmt werden und drittens die Verantwortungen von verschiedenen Akteur*innnen lokalisiert werden. Bei der Stellungnahme von 2022 wird allerdings nicht die rechtliche Regelung fokussiert, stattdessen setzt sie sich mit der Suizidprävention auseinander, bei der es „vor allem um die Vermeidung solcher Lebenslagen [geht], in denen sich Menschen genötigt fühlen, einer zumindest subjektiv als unerträglich erlebten Lebenssituation durch Suizid ein Ende zu setzen. Sie umfasst vielfältige Interventionen und Verantwortlichkeiten unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure auf unterschiedlichen Handlungsebenen („Multiakteursverantwortung“). In der Stellungnahme spricht sich der deutsche Ethikrat für eine Stärkung der Strukturen der Suizidprävention aus, sowie für die Erweiterung der Hospiz- und Palliativversorgung.
Deutscher Ethikrat (2022): Stellungnahme: Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit. Online Version