Verfahren vor dem VG Gießen
Das VG Gießen sprach sich in einem Urteil aus dem Jahre 2003 dafür aus, dass nach der Einführung des Staatsziels Tierschutz durch die Änderung des Art. 20a GG nun den Behörden ein materielles Prüfrecht zukommt.
VG Gießen, Urteil vom 13. August 2003, Az. 10 E 1409/03 Online Version
Nachdem ein von ihm beantragter Tierversuch von der zuständigen Genehmigungsbehörde abgewiesen worden war, klagte ein Forscher. In dem geplanten Experiment sollte die Gewichtszunahme von Ratten nach Verabreichung des Antipsychotikums Clozapin untersucht werden.
Die Behörde hatte die Genehmigung mit der Begründung verweigert, das geplante Tierexperiment sei weder unerlässlich, noch ethisch vertretbar (im Sinne von § 7 TierSchG). Der Kläger hingegen vertrat die Ansicht, die Genehmigungsbehörde sei zu einer solchen Einschätzung nicht befugt, sondern habe - im Sinne einer qualifizierten Plausibilitätskontrolle - lediglich zu überprüfen, ob der Forscher sein Vorhaben wissenschaftlich begründet dargelegt habe. Da dies im vorliegenden Fall geschehen sei, müsse ihm eine entsprechende Genehmigung erteilt werden.
Das Gericht entschied gegen den Kläger, dass die Genehmigungsbehörde ein materielles Prüfrecht besitzt und insbesondere befugt ist, die wissenschaftliche Begründung des Forschers sachlich zu überprüfen. Diese Befugnis ergebe sich u. a. daraus, dass Tierschutz seit 2002 ein Staatsziel sei und dies "naturgemäß" auch Auswirkungen auf die einfachgesetzliche Regelung im Tierschutzgesetz haben müsse.
Im Übrigen bestätigte das Gericht die Einschätzung der Genehmigungsbehörde, die beantragten Versuche seien nicht unerlässlich und ethisch nicht vertretbar. Der Streit zog sich weiter, schließlich lehnte der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juni 2004 den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil ab.
In den Jahren vor der Verankerung des Staatsziels Tierschutz im GG hatte ein anderes Urteil des VG Gießen die Frage zum Gegenstand, inwieweit die durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 des Grundgesetzes geschützte Freiheit der Lehre die Durchführung von Tierversuchen im Rahmen des Biologiestudiums abdeckt:
VG Gießen, Urteil vom 24. August 1995, Az. 7 E 1982/94 Online Version
In dem betreffenden Verfahren hat ein Hochschullehrer der Philipps-Universität Marburg erfolgreich gegen die behördliche Untersagung einer von ihm durchgeführten Lehrveranstaltung mit Tierversuchen geklagt. Genauer handelte es sich um einen Versuch zur Nahrungsresorption im Dünndarm von Ratten, der unter Narkose durchgeführt wurde und mit der Tötung der Versuchstiere endete. In dem Rechtsstreit war es unter anderem um die Frage gegangen, ob der mit dem Tierversuch verfolgte Zweck alternativ durch die Vorführung eines Lehrvideos zu erreichen gewesen wäre. Das Gericht entschied, dass dies wohl für die Vermittlung des inhaltlichen Kursthemas Verdauung möglich gewesen wäre, nicht dagegen für den weitergehenden Zweck, Grundkenntnisse in tierexperimenteller Arbeit zu vermitteln. Der Kläger habe das Recht dazu gehabt, das Ausbildungsziel seiner Lehrveranstaltung für Studierende der Biologie mit Fachrichtung Zoologie in dieser Weise zu bestimmen.